Annatextiles: Wandteppiche Ruth von Fischer: Erinnerungen

   
  Ruth von Fischer wurde am 20. Februar 1911 geboren, sie starb am 26. September 2009 im Altersheim Bürgerasyl, Leonhardstrasse 16, in 8001 Zürich, Schweiz.
 
  Erinnerungen von Ruth von Fischer
verfasst von der Künstlerin selber,
für Heimatwerk, Zürich, März 1968,
33. Jahrg. Nr.1, S. 21

Aus meinem Leben:
Meine Jugend verbrachte ich als Erstgeborene von fünf Kindern im alten, geräumigen bernischen Pfarrhaus in Wichtrach. Mein Vater war ein guter Seelsorger, von dem noch heute alte Leute mit Freuden erzählen; meine Mutter seine lebhafte Begleiterin. Das Vorbild dieser beiden prächtigen Menschen ist für mein ganzes Leben bestimmend geworden. Mein Vater stammte aus einer alten Stadtberner Familie, liebte Ruinen, Schlösser und historisch bedeutsame Kirchen und führte uns, wenn er Zeit hatte, dorthin.
Wir besuchten zum Beispiel die Krypta der romanischen Kirche von Amsoldingen, in welcher der dortige Pfarrer damals seine Apfelkeller eingerichtet hatte, oder wir hörten im Schloss Thun die schlimme Geschichte der Grafen von Kyburg, von denen ein Bruder den anderen durch das Fenster des Schlosses hinauswarf.



 




Im Winter lebten wir in der fröhlichen Kinderstube, im Sommer hingegen waren wir oft beim benachbarten Bauern und Sigristen der Gemeinde. Bei ihm halfen wir im Stall, kannten seine Kühe und fütterten seine Hühner. Mit ihm stiegen wir auf den Kirchturm und sahen zu, wie der Mann mit dem lahmen Fuss die Glocken läutete. Auch auf den Friedhof begleiteten wir ihn und wurden schaudernd angezogen von den kleinen Kindergräbern.
Im Herbst halfen wir beim Hüten der Kühe. Dann zündeten wir die verdorrten Kartoffelstauden an, bedeckten das Feuer mit Grasschollen und versteckten in der Glut Aepfel und Kartoffeln. Wenn der Rauch abends über den Wiesen hängen blieb wie ein Streifen feines Tuch, freuten wir uns auf die Heimkehr in die warme, gemütliche Stube. Auf dem heimeligen Ofentritt wärmten wir unsere steifen Füsse. Die Hauskatze begrüsste uns mit ihrem Schnurren, und wir streichelten dem alten Tier sein schwarzes, knisterndes Fell.


 
  Gelegentlich durfte ich meine Patin Bertha von Fischer beim Aquarellieren begleiten. Ich setzte mich mit dem blauen Schulheft ein wenig entfernt ins Gras und zeichnete die Bauernhäuser oder einen schönen Spycher, oder ich besuchte alte Frauen, um sie abzuzeichnen. Ängstlich brachte ich meine Bitte vor und freute mich dann sehr, wenn das Mütterchen willig still sass.

Nach dem frühen Tod meines Vaters mussten wir das Pfarrhaus verlassen und zogen in unsere Vaterstadt Bern zurück. Dort besuchte ich das Evangelische Lehrerseminar und wurde anschliessend an der Gewerbeschule zur Zeichenlehrerin ausgebildet. Ein fröhliches Semester in München half meinen Horizont weiten, und auf verschiedenen Reisen ins Ausland lernte ich grosse Kunstwerke kennen.
Nach dem Abschluss meiner Studien wurde ich Zeichenlehrerin in Bern. Einige Jahre später verheiratete ich mich.


  1943 kamen wir auf Umwegen und mit zwei Kindern nach Zürich, wo mein Mann eine Anstellung gefunden hatte. Bald vergrösserte ein drittes Kind die Familie. Weil ich aber das Gestalten nicht lassen konnte, nähte ich für unsere Kinder Puppen, bemalte Schränke und gab auch wieder einige Zeichenstunden.

Heute sind die Kinder erwachsen und ausgeflogen, und die Umstände haben es mit sich gebracht, dass ich wieder frei meiner Arbeit leben darf. Seit Jahren befasse ich mit dem Stoffdruck und mit dem textilen Gestalten von Wandteppichen. Diese Arbeit verbindet mich auch mit dem Heimatwerk, das meine Wandbehänge ausstellt und verkauft und wo ich Kurse im Linoldruck erteile.
Heute habe ich eine kleine Werkstatt, wo ich zeichne, Collagen zusammenfüge, meine Stempel schneide, drucke und nähe. Daneben erteile ich weiter Zeichenunterricht und freue mich über die Arbeitsgemeinschaft mit meinen Schülern.


   
 
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