Annatextiles: Wandteppiche Ruth von Fischer: Herstellung

   
   
 
  Wandteppiche als Gemeinschaftswerk
aus: Fünf Brote und zwei Fische
von Susanne Kramer, Verena Eggmann, in:
Ruth von Fischer - Kunst als Gemeinschaftswerk, Zürich, 1981, S. 24

Auf Grund einer Collage an der Ausstellung der GSMBK im Jahre 1962 wurde Ruth von Fischer eingeladen, einen der zwölf Wandteppiche für den Sektor "Feld und Wald" der Expo 1964 zu gestalten. Ohne zu zögern nahm sie den Auftrag an, der sie vor eine völlig neue Aufgabe, eine echte Herausforderung stellte.

Niemand konnte ahnen, wie grundlegend die Folgen dieser Arbeit sein würden. Unter der strengen und unablässigen Führung und Begleitung des leitenden Gremiums, vorab des Chefarchitekten von "Feld und Wald", entstanden im Vorjahr der Expo die


 





Entwürfe zu diesen Teppichen. Etliche der anfangs etwa zwanzig Künstler zogen sich von der Teilnahme zurück, weil sie sich infolge der engen Führung und der Koordinationsbestrebungen des Komitees nicht glaubten entfalten zu können. Nicht so andere, darunter Ruth von Fischer. Sie benutzte die Gelegenheit zu intensiver Auseinandersetzung mit Kollegen und Kritikern und betrachtete den Dialog als hochwillkommene Bereicherung. Vor allem holte sie sich damit das Rüstzeug zur Technik des Wandteppichs, die sie in der Folgezeit entwickelte und verfeinert, in den Grundzügen aber beibehalten hat.
 

Arbeit am Teppich in Hausen AG, 1979


 

 



Arbeit am Teppich in Hausen AG, 1979


 




Der Teppich wird an der Wand befestigt:
viele Hände halten den aufgerollten Teppich fest
damit er von hinten her an eine Holzleiste
geschraubt werden kann

 

Arbeit am Teppich für das Altersheim
in Gränichen 1983



 


 
  Die Technik der Applikation
aus: Fünf Brote und zwei Fische
von Susanne Kramer, Verena Eggmann, in:
Ruth von Fischer - Kunst als Gemeinschaftswerk, Zürich, 1981, S. 25

Die Applikation beruht im Aufnähen verschiedenfarbiger und manchmal auch verschieden strukturierter Wollstoffe auf eine relativ feine textile Leinenunterlage. Damit sich diese Stoffstücke in der vertikalen, hängenden Position nicht verziehen, werden sie einmal an den Rändern fixiert, aber auch auf ihrer ganzen Fläche mit einfachen Stichen auf der Unterlage festgenäht, teils Ton in Ton, teils mit bewusst hellerem, respektive dunklerem Garn, so dass selbst die sorgfältig ausgewählten Farbklänge der handgewobenen Stoffe durch das Uebernähen weiter differenziert und variiert werden können, so dass sich gleitende oder harte Uebergänge je nach der gewünschten Wirkung gestalten lassen. Akzente und kräftige Zeichnung ergeben sich durch das Aufnähen verschiedener handgeknüpfter und geflochtener Wollschnüre und Kodeln in allen Dicken und Farbnuancen.



  Durch diese doppelte Gestaltung des Teppichs, Applikation von Flächen und Aufnähen linearer Strukturen, erzielt die Künstlerin Wirkungen, die einerseits ganz aus der Nähe, andererseits aber auch aus grosser Entfernung betrachtet zur Geltung kommen und je andere Züge in den Vordergrund treten lassen. Dies ist bei den zum Teil ganz beträchtlichen Ausmassen der Teppiche und der Räume, für die sie bestimmt sind, äusserst wichtig.

Die Arbeitsweise in Gruppen kommt gerade solchen Dimensionen zugute, welche die Ausführung eines Teppichs mit einem Arbeitsaufwand von vielleicht mehreren tausend Stunden in der kurzen Zeit von etwa einem Jahr erlaubt.
Allerdings ist Zeitgewinn nicht der ausschlaggebende Beweggrund für die Gruppenarbeit. Diese war vielmehr eine Bedingung für den Auftrag des Expo-Teppichs: er sollte zusammen mit ehemaligen Schülerinnen von Bäuerinnenschulen hergestellt werden; eine Aufgabe, die Ruth von Fischer dank ihrer grossen Erfahrung im Umgang mit Menschen leicht und zur grossen Befriedigung aller Beteiligten erfüllte.


 
  Der Zwölf-Apostel-Teppich
in der Predigerkirche, Zürich

verfasst von der Künstlerin
für Heimatwerk, Zürich, März 1968,
33. Jahrg. Nr.1, S. 16

In Zürich wurde in den Jahren 1965 bis 1967 das Innere der alten Predigerkirche erneuert. Sie erhielt wieder ihre schönen weissen Wände, wurde hell und festlich, und der reiche Barockstuck mit seinen Verzierungen wurde neu zur Geltung gebracht.

Zur Belebung der Ostwand, die das Schiff vom alten, hochgotischen Chor trennt, sollte als Gemeinschaftswerk ein Bildteppich in sogenannter Applikationstechnik entstehen. Da ich mich auch zur Gemeinde zähle, erhielt ich den schönen und verantwortungsvollen Auftrag für diese Arbeit. Mit Freuden, aber auch mit leisem Bangen begann ich im Sommer 1965 mit den Entwürfen. Das Thema, die zwölf Apostel und in der Mitte das Kreuz anstelle von Christus, wurde mir gegeben. Der Architekt der Kirche, Paul Hintermann, stand mir während der ganzen Dauer meiner Arbeit zur Seite, und in regelmässigen Abständen hängte ich Entwürfe und Arbeitsproben zur Prüfung in der Kirche auf.

  - heute, im Jahre 2009 hängt der Teppich im Verbindungsgang zwischen den Altersheimen Bürgerasyl und Pfrundhaus, Leonhardstrasse, Zürich -



Im ersten Jahr beschäftigte mich vor allem der farbige Entwurf der Zeichnung im Massstab 1:1. Durch die Zeitschrift "Heimatwerk" wurde ich aber auch auf die in den Cevennen tätige Berner Wollfärberin, Frau Lydie Nencki, aufmerksam gemacht. Ich reiste in den Sommerferien dorthin, wo ich in die Geheimnisse des Pflanzenfärbens eingeweiht wurde und gleichzeitig für meine Arbeit die ersten Näh- und Stickproben ausführte. Ein Arm voll Wollstrangen in sorgfältig zusammengestellten Tönen weckte in mir das farbige Bild des Teppichs. In Zürich fand ich eine gute Weberin, Regula Hahn. Sie wob die für den Teppich benötigten Wollstoffe nach den Tönen des farbigen Entwurfes. Ihrerseits bezog sie die wollenen Garne aus der Handspinnerei von Jean Debétaz im Val d'Anniviers. Die Zeichnung des Entwurfes im Massstab 1:1 übertrug ich auf eine grobe Heimatwerkleinwand. Auf diese Vorzeichnung wurden die Stoffstücke aufgeheftet. Dann endlich konnte es ans Aufnähen und Besticken gehen.


 
  30 Frauen der Kirchgemeinde wurden hiefür gewonnen. Hausfrauen jeden Alters, die älteste 80jährig, die jüngste kaum 20, kamen nachmittags und abends zur "Teppichbüetzete" zusammen. Neben den Hausfrauen sassen fünf Pfarrfrauen, eine Arztfrau, Geschäftsfrauen, Berufstätige im Ruhestand, eine Zahnärztin usw. Alle erschienen immer wieder voller Arbeitsfreude. Eine kurze Kaffeepause, von allen sehr geschätzt, war der einzige Unterbruch. Die Arbeit der Frauen bestand darin, die auf Leinwand gehefteten Woll- "Blätze" auf dem Grund fest anzunähen, wobei sowohl der Ton und die Arten des Garnes als auch die beim Aufnähen angewandten Stiche die Farbigkeit des Teppichs bereicherten.
Nachdem die Grundflächen solchermassen angenäht waren, erfolgte abschliessend die lineare Gestaltung: Verzierung der Gewänder, Formen und Umrisse von Händen, Köpfen usw. Das freilich musste meine persönliche Arbeit bleiben.
  Bei der festlichen Einweihung der Kirche hing unser Teppich an seinem Bestimmungsplatz. Jede Frau betrachtete nochmals ihre Arbeit.

Da war zum Beispiel der Schlüssel von Petrus. eine eifrige Näherin hatte sich gewünscht, diesen sticken zu dürfen. Sie gab sich für den dunklen, mächtigen Schlüssel auch eine unendliche Mühe.
Oder das rote Buch des Apostels Matthäus; mit wie viel Sorgfalt und Liebe wurde dieses gestickt.
Oder die Säge des Apostels Simon! Bis zum letztmöglichen Augenblick verbesserte die alte Dame liebevoll die scharfen Zacken.

Der Teppich ist zwei Meter hoch und neun Meter lang, und wir brauchten zu seiner Herstellung 3600 Arbeitsstunden. Er ist also eine wirkliche Gemeinschaftsarbeit, der alle ihr bestes Können und ihr ganzes Herz gewidmet haben.


   
 
 
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