ANNE WANNER'S Textiles in History   /  informations

   
  Werkstattgespräch "Kontextilien 2: Museum Aktiv - Interaktive
Ausstellungselemente" am 21.3.2006 in Neumünster

Tagungsbericht für H-Museum von Dr. Thomas Kronenberg,
Museum Tuch + Technik. Textilmuseum Neumünster
E-Mail: kronenberg@tuch-und-technik.de

Das Museum "Tuch + Technik. Textilmuseum Neumünster",
das im Oktober 2007 seine Dauerausstellung eröffnen wird,
veranstaltete zum zweiten Mal ein Werkstattgespräch
in der Reihe "Kontextilien - Textilien im Kontext",
diesmal zum Thema:: "Museum Aktiv - Interaktive Ausstellungselemente.


  Als Referenten waren
- Dr. Wilhelm Völcker-Janssen, Direktor des Wolfgang-Bonhage-Museums Korbach,
- Claudia Gottfried M.A., wissenschaftliche Referentin am Rheinischen Industriemuseum, Schauplatz Ratingen und
- Nicola Kochhafen M.A., Museumspädagogin für die Phänomenta Flensburg eingeladen.

Karin Ruhmöller M.A., Museumspädagogin am Museum Tuch + Technik, stellte die Ideen für das neue Textilmuseum in Neumünster vor.
Die Diskussionsleitung übernahm Prof. Dr. Silke Göttsch-Elten, Universität Kiel.
Dr. Sabine Vogel, Direktorin des Museums Tuch + Technik, begrüßte die Teilnehmer und umriss das Tagungsthema:

Als Minimaldefinition für Interaktivität kann gelten, dass es den alten Museumsspruch außer Kraft setzt "Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten." Aber was genau kann das bedeuten? Knöpfe drücken, Schubladen ziehen? Gerade bei einem Thema wie Textilherstellung würde es sich anbieten,
die Besucher selbst Hand anlegen zu lassen, und zwar so, dass damit ein Erkenntnisgewinn verbunden ist.
Diskutiert und vorgestellt wurden von den Referenten Ausstellungselemente, die permanent in der Ausstellung stehen, die ohne Vorführung und persönliche Anleitung in Betrieb zu nehmen sind, die Einzelbesucher und kleine Gruppen (wie etwa Familien) selbständig benutzen können und die für Besucher jeder Altersgruppe interessant sind.


Nachdem Wilhelm Völcker-Janssen, Direktor des Wolfgang-Bonhage-Museum, Korbach das Bonhage-Museum kurz vorgestellt hatte, formulierte er einen Leitgedanken zur Besucherorientierung:
Die Besucher werden dazu animiert, die Korbacher Geschichte zu entdecken. Dies soll auch anhand interaktiver Elemente geschehen. Ursprünglich wurde hierbei nur an die Zielgruppe Kinder gedacht. Doch die Praxis zeigt, dass sich ältere Besucher ebenfalls angesprochen fühlen. Es geht jedoch nicht um Aktivität um ihrer selbst willen. Auch sollen die Besucher nicht noch zusätzliche Informationen erhalten.
Die interaktiven Elemente dienen dazu, die Ausstellung zu einem Kommunikationsmittel zu machen; auch zur Kommunikation der Besucher untereinander sowie zwischen Museumsmachern und Besuchern. Die interaktiven Stationen sind so konzipiert, dass sie ohne Textinformation einen Denkprozess anregen.

Ein Beispiel:
Verschiedene Werkzeuge eines Tischlers werden gezeigt. Erkenntnis: Werkzeuge eines Handwerkers sind sehr vielfältig und auf ganz bestimmte Arbeitsgänge zugeschnitten. Nur der Meister ist in der Lage, alle Werkzeuge zu benutzen. Das wichtigste und komplexeste Werkzeug des Handwerkers ist jedoch die Hand.
Ein weiteres Beispiel:
Knochen einesSkeletts werden als Knochenhaufen gezeigt. Frage: Welches Tier ist das? Das Skelett wird in montierter Form gezeigt. Es ist ein Igel, doch am Skelett erkennt das fast niemand. Erkenntnis: Die Rekonstruktionen von urzeitlichen Tieren allein auf der Basis von Knochenfunden sind zweifelhaft.


Claudia Gottfried (Rheinisches Industriemuseum, Schauplatz Ratingen) fragte, ob Interaktivität immer das richtige Mittel zur Vermittlung ist. Wichtig ist es, die Vermittlungsziele zuvor festzulegen.
Für Gottfried ist auffallend, dass in Industriemuseen textile Technik in der Regel nicht an interaktiven Stationen zu sehen ist. Das liegt daran, dass diese Technik schwieriger umzusetzen ist, als andere.
Die Referentin berichtete von den Schwierigkeiten mit interaktiven Stationen am Standort Ratingen im Rheinischen Industriemuseum. Die Besucher haben die Funktion der Station oft nicht verstanden, was zu Frustrationen und auch zur Beschädigung der Station führte.
Hinzu kommt, dass die Besucher die Station mit falschen Erkenntnissen verlassen haben. Daher ist man in Ratingen beim Thema Textiltechnik fast vollständig zur didaktischen Vermittlung durch das Personal zurückgekehrt.
Trotz dieser Erfahrungen soll künftig auf Interaktivität in Ausstellungen nicht verzichtet werden, wenngleich auch die Grenzen nun bewusst geworden sind. So gibt es in der Dauerausstellung weiterhin interaktive Elemente jenseits der Technikvermittlung:
verschiedene Geräusche einer Fabrik über Kopfhörer, eine Schnittmusterwand, eine Garnfühlstation, ein Pulsmessgerät in Verbindung mit Fabriklärm, das Anprobieren von Kleidung.
In diesem Zusammenhang ist auch auf den Standort der Stationen innerhalb eines Ausstellungsrundgangs zu achten. Die Garnfühlstation wird zum Beispiel selten benutzt, da sie direkt hinter einer Vorführstation steht.


Nicola Kochhafen (Phänomenta Flensburg) machte zu Beginn ihres Vortrages die Unterschiede zwischen einem Science Center und einem kulturhistorischen Museum deutlich. Der Grundstock eines Science Centers ist nicht eineSammlung, sondern sind die technischen Phänomene, die vermittelt werden sollen.

In Flensburg gibt es 150 Experimentierstationen auf 2000 m². Für ein kreatives Lernen orientiert sich die Phänomenta an verschiedene Kriterien, um möglichst viele Sinne anzusprechen. Von den Besuchern wird erwartet, dass sie aktiv werden, von der Handbewegung bis zum Einsatz des ganzen Körpers. Die Besucher können individuell vorgehen, sie können eine eigene Auswahl der Schwerpunkte bzw. Stationen treffen, es gibt keine vorgegebene Reihenfolge. Ebenso können sie ihr eigenes Tempo bestimmen und einen eigenen Zugang bei mehreren Lösungsmöglichkeiten wählen. Hierbei treten sie auch in Kommunikation mit anderen, da einige Experimente nur mit mehreren Personen erfahrbar oder reizvoll sind. Die Experiment-Bedienung sollte sich allerdings selbst erschließen lassen
Je offener der Zugang, desto attraktiver ist die Station für die Besucher.

Als Ziele formulierte Nicola Kochhafen
das Schaffen von Vertrauen in die eigene Kompetenz, Wissenserweiterung und das Aufwerfen neuer Fragen.
Auch für die Exponate gibt es wichtige Kriterien:
Sie sollen ein unauffälliges Außendesign haben. Signalfarben gibt es nur an wichtigen Stellen. Das Phänomen soll im Vordergrund stehen, nicht die Gestaltung. Bei zu "schicken" Exponaten gibt es ebenso wie bei funktionsuntüchtigen destruktives Verhalten. Das Verhältnis zwischen Phänomen und Größe des Aufbaus muss stimmen. Es darf nicht zu viele Bedienungsknöpfe und keine verborgenen Teile geben. Die Texte müssen einfach, aber korrekt sein. Außerdem ist auf die Größe der Experimentierstationen zu achten, die sowohl für Erwachsene als auch für Kinder akzeptabel sein muss. Keine Besuchergruppe soll ausgeschlossen
werden. Es darf aber auch keine Reizüberflutung geben. Der Aufbau soll fruchtbare Auseinandersetzungen und gemeinsames Experimentieren ermöglichen.
Es gilt die Devise "less is more". In der Phänomenta sind die Stationen nicht in einer "Geschichte" eingebunden, sie stehen für sich. Natürlich gibt es auch in der Phänomenta thematische und Sonderausstellungen. Mögliche Verknüpfungen - auch zur Alltagswelt - stellt der Besucher selbst her.


Erstmals präsentierte Karin Ruhmöller (Tuch und Technik, Neumünster) das Konzept des Museums Tuch + Technik zum Thema "Interaktive Ausstellungselemente". Sie machte deutlich, dass für die familienfreundliche und besucherorientierte Zielsetzung des Museums Interaktivität ein wichtiges Element des didaktischen Gesamtkonzeptes ist.
Bei der Konzeption und Planung von Hands-On-Bereichen in der Ausstellung ist ständig zu hinterfragen, ob Denkprozesse angeregt werden, der Besucher eine sinnvolle Erfahrung machen kann und die Möglichkeit zum Dialog mit dem Exponat oder anderen Besuchern geben ist. Die Integration der interaktiven Stationen in die Ausstellungseinheiten ist zentral für das Konzept des Textilmuseums.
So treten Exponat und Aktion in einen Dialog und unterstützen sich gegenseitig in ihrer Aussage. Materialeigenschaften, Arbeitsprozesse und Gesellschaft sind die drei Themenkomplexe, zu denen es jeweils angebunden an die jeweiligen Ausstellungsinhalte interaktive Stationen geben wird.
Erleben mit allen Sinnen steht beim Thema Materialeigenschaften im Vordergrund: Rohwolle erforschen, andere Textilfasern und -gewebe spüren oder Stoffen mit dem Mikroskop zu Leibe rücken.
Die Grundprinzipien vor allem der handwerklichen Textilherstellung nachvollziehen und die Komplexität des Produktionsprozesses erfassen, sind die Maxime bei der Konzeption der Stationen zum Thema Arbeitsprozesse. Das Prinzip der 'Sendung mit der Maus' steht hier unter anderem Pate.
Zum Themenkomplex Gesellschaft ist an ein Begriffsrätsel gedacht, das dem Besucher die Traditionen handwerklicher Produktion in unserer Sprache näher bringt. An einer anderen Station wird der Besucher nach seiner eigenen Berufswahl gefragt. Indem er seine Motivation auf eine spezielle Besucherkarte notiert, erfährt er sich als Zeitzeuge und erlebt sich als Teil der Geschichte.

Deutlich wurde in der abschließenden Diskussion, dass gerade im Bereich der Textilherstellung die personale Vermittlung gegenüber der selbständigen Aktivität einen großen Stellenwert einnimmt.
Daraus ergab sich die Frage, auf welche Personenkreise das Museum Tuch + Technik für die Vorführung und Anleitung zurückgreifen kann.
Sabine Vogel will hier auf Ehrenamtliche setzen. Lisa Kosok, Direktorin des Museums der Arbeit Hamburg, bekräftigte, dass dies in ihrer Einrichtung gut funktioniere.
Der Nürnberger Designer Marius Schreyer stellte die Frage nach der Gestaltung und der visuellen Ästhetik interaktiver Stationen. Nicola Kochhafen erklärte für die Phänomenta, dass diese am puristischsten von allen Science Centern vorgehe. Im Universum in Bremen gebe es beispielsweise zuviel an ablenkendem Lärm. In der Phänomenta hingegen gibt es jeweils kleine abgeschlossene Kabinette. Ein kulturgeschichtliches Haus hingegen wird bei der Vermittlung anders vorgehen, da es andere Ansprüche hat. Die Gestaltung interaktiver Elemente oder Stationen muss sich nach den jeweiligen Zielen und den Ausstellungsobjekten richten.
Wilhelm Völcker-Janssen erläuterte, dass die interaktiven Stationen in Korbach in ihrer Bedeutung genauso wie die Ausstellungselemente behandelt werden. Sie erhalten in der Ausstellungsvorbereitung die gleiche Aufmerksamkeit. Die Stationen sind Teil der Ausstellung, ihre Integration erfolgt unauffällig, nur die Kinderstationen sind besonders kenntlich gemacht.
Es wurde auch danach gefragt, ob es im neuen Textilmuseum genauso sauber sein werde wie in anderen Museen. Dies entspricht nicht den damaligen Zuständen. Wilhelm Völcker-Janssen erwiderte, dass eine komplette Rekonstruktion nicht das Ziel eines Museums sein kann. Ein Museum kann es gar nicht leisten, Gefühle zu rekonstruieren.
Schließlich wurden die Erfahrungen im Rheinischen Industriemuseum, Schauplatz Ratingen diskutiert. Wilhelm Völcker-Janssen betonte, dass in interaktiven Stationen nicht die Maschinen nachgeahmt werden sollen. Die Bedienung der Maschinen erforderte eine dreijährige Ausbildung. Es kann deshalb nicht vom Besucher erwartet werden, dass er dies in fünf Minuten erlernen könne.

Auf der Tagung wurde die Bandbreite interaktiver Elemente gut abgedeckt. Als Textilmuseum wird das Museum "Tuch und Technik" in Neumünster die Erfahrungen in Ratingen zu beachten haben. Interaktive Stationen allein können nicht die Vermittlungsaufgabe eines Museums übernehmen, museumspädagogische Angebote und Führungen müssen hinzukommen.

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