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Als Referenten waren
- Dr. Wilhelm Völcker-Janssen, Direktor des
Wolfgang-Bonhage-Museums Korbach,
- Claudia Gottfried M.A., wissenschaftliche Referentin am
Rheinischen Industriemuseum, Schauplatz Ratingen und
- Nicola Kochhafen M.A., Museumspädagogin für die
Phänomenta Flensburg eingeladen.
Karin Ruhmöller M.A., Museumspädagogin am Museum Tuch +
Technik, stellte die Ideen für das neue Textilmuseum in
Neumünster vor.
Die Diskussionsleitung übernahm Prof. Dr. Silke
Göttsch-Elten, Universität Kiel.
Dr. Sabine Vogel, Direktorin des Museums Tuch + Technik,
begrüßte die Teilnehmer und umriss das Tagungsthema:
Als Minimaldefinition für
Interaktivität kann gelten, dass es den alten
Museumsspruch außer Kraft setzt "Das Berühren der
Figüren mit den Pfoten ist verboten." Aber was
genau kann das bedeuten? Knöpfe drücken, Schubladen
ziehen? Gerade bei einem Thema wie Textilherstellung
würde es sich anbieten,
die Besucher selbst Hand anlegen zu lassen, und
zwar so, dass damit ein Erkenntnisgewinn verbunden
ist.
Diskutiert und vorgestellt wurden von
den Referenten Ausstellungselemente, die permanent in der
Ausstellung stehen, die ohne Vorführung und persönliche
Anleitung in Betrieb zu nehmen sind, die Einzelbesucher
und kleine Gruppen (wie etwa Familien) selbständig
benutzen können und die für Besucher jeder Altersgruppe
interessant sind.
Nachdem Wilhelm Völcker-Janssen,
Direktor des Wolfgang-Bonhage-Museum, Korbach das
Bonhage-Museum kurz vorgestellt hatte,
formulierte er einen Leitgedanken zur
Besucherorientierung:
Die Besucher werden dazu animiert, die Korbacher
Geschichte zu entdecken. Dies soll auch anhand
interaktiver Elemente geschehen. Ursprünglich wurde
hierbei nur an die Zielgruppe Kinder gedacht. Doch die
Praxis zeigt, dass sich ältere Besucher ebenfalls
angesprochen fühlen. Es geht jedoch nicht um Aktivität
um ihrer selbst willen. Auch sollen die Besucher nicht
noch zusätzliche Informationen erhalten.
Die interaktiven Elemente dienen dazu,
die Ausstellung zu einem Kommunikationsmittel zu machen;
auch zur Kommunikation der Besucher untereinander sowie
zwischen Museumsmachern und Besuchern. Die interaktiven
Stationen sind so konzipiert, dass sie ohne
Textinformation einen Denkprozess anregen.
Ein Beispiel:
Verschiedene Werkzeuge eines Tischlers werden gezeigt.
Erkenntnis: Werkzeuge eines Handwerkers sind sehr
vielfältig und auf ganz bestimmte Arbeitsgänge
zugeschnitten. Nur der Meister ist in der Lage, alle
Werkzeuge zu benutzen. Das wichtigste und komplexeste
Werkzeug des Handwerkers ist jedoch die Hand.
Ein weiteres Beispiel:
Knochen einesSkeletts werden als Knochenhaufen gezeigt.
Frage: Welches Tier ist das? Das Skelett wird in
montierter Form gezeigt. Es ist ein Igel, doch am Skelett
erkennt das fast niemand. Erkenntnis: Die
Rekonstruktionen von urzeitlichen Tieren allein auf der
Basis von Knochenfunden sind zweifelhaft.
Claudia Gottfried (Rheinisches
Industriemuseum, Schauplatz Ratingen) fragte, ob
Interaktivität immer das richtige Mittel zur Vermittlung
ist. Wichtig ist es, die Vermittlungsziele zuvor
festzulegen.
Für Gottfried ist auffallend, dass in Industriemuseen
textile Technik in der Regel nicht an interaktiven
Stationen zu sehen ist. Das liegt daran, dass diese
Technik schwieriger umzusetzen ist, als andere.
Die Referentin berichtete von den Schwierigkeiten
mit interaktiven Stationen am Standort Ratingen
im Rheinischen Industriemuseum. Die Besucher haben die
Funktion der Station oft nicht verstanden, was zu
Frustrationen und auch zur Beschädigung der Station
führte.
Hinzu kommt, dass die Besucher die Station mit falschen
Erkenntnissen verlassen haben. Daher ist man in Ratingen
beim Thema Textiltechnik fast vollständig zur
didaktischen Vermittlung durch das Personal
zurückgekehrt.
Trotz dieser Erfahrungen soll künftig auf
Interaktivität in Ausstellungen nicht verzichtet werden,
wenngleich auch die Grenzen nun bewusst geworden sind. So
gibt es in der Dauerausstellung weiterhin interaktive
Elemente jenseits der Technikvermittlung:
verschiedene Geräusche einer Fabrik über Kopfhörer,
eine Schnittmusterwand, eine Garnfühlstation, ein
Pulsmessgerät in Verbindung mit Fabriklärm, das
Anprobieren von Kleidung.
In diesem Zusammenhang ist auch auf den Standort der
Stationen innerhalb eines Ausstellungsrundgangs zu
achten. Die Garnfühlstation wird zum Beispiel selten
benutzt, da sie direkt hinter einer Vorführstation
steht.
Nicola Kochhafen (Phänomenta Flensburg)
machte zu Beginn ihres Vortrages die Unterschiede
zwischen einem Science Center und einem
kulturhistorischen Museum deutlich. Der Grundstock eines
Science Centers ist nicht eineSammlung, sondern sind die
technischen Phänomene, die vermittelt werden sollen.
In Flensburg gibt es 150 Experimentierstationen auf 2000
m². Für ein kreatives Lernen orientiert sich die
Phänomenta an verschiedene Kriterien, um möglichst
viele Sinne anzusprechen. Von den Besuchern wird
erwartet, dass sie aktiv werden, von der Handbewegung bis
zum Einsatz des ganzen Körpers. Die Besucher können
individuell vorgehen, sie können eine eigene Auswahl der
Schwerpunkte bzw. Stationen treffen, es gibt keine
vorgegebene Reihenfolge. Ebenso können sie ihr eigenes
Tempo bestimmen und einen eigenen Zugang bei mehreren
Lösungsmöglichkeiten wählen. Hierbei treten sie auch
in Kommunikation mit anderen, da einige Experimente nur
mit mehreren Personen erfahrbar oder reizvoll sind. Die
Experiment-Bedienung sollte sich allerdings selbst
erschließen lassen
Je offener der Zugang, desto attraktiver ist die Station
für die Besucher.
Als Ziele formulierte Nicola Kochhafen
das Schaffen von Vertrauen in die eigene Kompetenz,
Wissenserweiterung und das Aufwerfen neuer Fragen.
Auch für die Exponate gibt es wichtige Kriterien:
Sie sollen ein unauffälliges Außendesign haben.
Signalfarben gibt es nur an wichtigen Stellen. Das
Phänomen soll im Vordergrund stehen, nicht die
Gestaltung. Bei zu "schicken" Exponaten gibt es
ebenso wie bei funktionsuntüchtigen destruktives
Verhalten. Das Verhältnis zwischen Phänomen und Größe
des Aufbaus muss stimmen. Es darf nicht zu viele
Bedienungsknöpfe und keine verborgenen Teile geben. Die
Texte müssen einfach, aber korrekt sein. Außerdem ist
auf die Größe der Experimentierstationen zu achten, die
sowohl für Erwachsene als auch für Kinder akzeptabel
sein muss. Keine Besuchergruppe soll ausgeschlossen
werden. Es darf aber auch keine Reizüberflutung geben.
Der Aufbau soll fruchtbare Auseinandersetzungen und
gemeinsames Experimentieren ermöglichen.
Es gilt die Devise "less is more". In der
Phänomenta sind die Stationen nicht in einer
"Geschichte" eingebunden, sie stehen für sich.
Natürlich gibt es auch in der Phänomenta thematische
und Sonderausstellungen. Mögliche Verknüpfungen - auch
zur Alltagswelt - stellt der Besucher selbst her.
Erstmals präsentierte Karin Ruhmöller (Tuch
und Technik, Neumünster) das Konzept des Museums Tuch +
Technik zum Thema "Interaktive
Ausstellungselemente". Sie machte deutlich, dass
für die familienfreundliche und besucherorientierte
Zielsetzung des Museums Interaktivität ein wichtiges
Element des didaktischen Gesamtkonzeptes ist.
Bei der Konzeption und Planung von Hands-On-Bereichen in
der Ausstellung ist ständig zu hinterfragen, ob
Denkprozesse angeregt werden, der Besucher eine sinnvolle
Erfahrung machen kann und die Möglichkeit zum Dialog mit
dem Exponat oder anderen Besuchern geben ist. Die
Integration der interaktiven Stationen in die
Ausstellungseinheiten ist zentral für das Konzept des
Textilmuseums.
So treten Exponat und Aktion in einen Dialog
und unterstützen sich gegenseitig in ihrer Aussage.
Materialeigenschaften, Arbeitsprozesse und Gesellschaft
sind die drei Themenkomplexe, zu denen es jeweils
angebunden an die jeweiligen Ausstellungsinhalte
interaktive Stationen geben wird.
Erleben mit allen Sinnen steht beim
Thema Materialeigenschaften im Vordergrund: Rohwolle
erforschen, andere Textilfasern und -gewebe spüren oder
Stoffen mit dem Mikroskop zu Leibe rücken.
Die Grundprinzipien vor allem der handwerklichen
Textilherstellung nachvollziehen und die
Komplexität des Produktionsprozesses erfassen, sind die
Maxime bei der Konzeption der Stationen zum Thema
Arbeitsprozesse. Das Prinzip der 'Sendung mit der Maus'
steht hier unter anderem Pate.
Zum Themenkomplex Gesellschaft ist an
ein Begriffsrätsel gedacht, das dem Besucher die
Traditionen handwerklicher Produktion in unserer Sprache
näher bringt. An einer anderen Station wird der Besucher
nach seiner eigenen Berufswahl gefragt. Indem er seine
Motivation auf eine spezielle Besucherkarte notiert,
erfährt er sich als Zeitzeuge und erlebt sich als Teil
der Geschichte.
Deutlich wurde in der abschließenden Diskussion,
dass gerade im Bereich der Textilherstellung die
personale Vermittlung gegenüber der selbständigen
Aktivität einen großen Stellenwert einnimmt.
Daraus ergab sich die Frage, auf welche
Personenkreise das Museum Tuch + Technik für die
Vorführung und Anleitung zurückgreifen kann.
Sabine Vogel will hier auf Ehrenamtliche setzen. Lisa
Kosok, Direktorin des Museums der Arbeit Hamburg,
bekräftigte, dass dies in ihrer Einrichtung gut
funktioniere.
Der Nürnberger Designer Marius Schreyer stellte die
Frage nach der Gestaltung und der visuellen Ästhetik
interaktiver Stationen. Nicola Kochhafen erklärte für
die Phänomenta, dass diese am puristischsten von allen
Science Centern vorgehe. Im Universum in Bremen gebe es
beispielsweise zuviel an ablenkendem Lärm. In der
Phänomenta hingegen gibt es jeweils kleine
abgeschlossene Kabinette. Ein kulturgeschichtliches Haus
hingegen wird bei der Vermittlung anders vorgehen, da es
andere Ansprüche hat. Die Gestaltung interaktiver
Elemente oder Stationen muss sich nach den jeweiligen
Zielen und den Ausstellungsobjekten richten.
Wilhelm Völcker-Janssen erläuterte, dass die
interaktiven Stationen in Korbach in ihrer Bedeutung
genauso wie die Ausstellungselemente behandelt werden.
Sie erhalten in der Ausstellungsvorbereitung die gleiche
Aufmerksamkeit. Die Stationen sind Teil der Ausstellung,
ihre Integration erfolgt unauffällig, nur die
Kinderstationen sind besonders kenntlich gemacht.
Es wurde auch danach gefragt, ob es im neuen Textilmuseum
genauso sauber sein werde wie in anderen Museen. Dies
entspricht nicht den damaligen Zuständen. Wilhelm
Völcker-Janssen erwiderte, dass eine komplette
Rekonstruktion nicht das Ziel eines Museums sein kann.
Ein Museum kann es gar nicht leisten, Gefühle zu
rekonstruieren.
Schließlich wurden die Erfahrungen im Rheinischen
Industriemuseum, Schauplatz Ratingen diskutiert. Wilhelm
Völcker-Janssen betonte, dass in interaktiven Stationen
nicht die Maschinen nachgeahmt werden sollen. Die
Bedienung der Maschinen erforderte eine dreijährige
Ausbildung. Es kann deshalb nicht vom Besucher erwartet
werden, dass er dies in fünf Minuten erlernen könne.
Auf der Tagung wurde die Bandbreite interaktiver
Elemente gut abgedeckt. Als Textilmuseum wird
das Museum "Tuch und Technik" in Neumünster
die Erfahrungen in Ratingen zu beachten haben.
Interaktive Stationen allein können nicht die
Vermittlungsaufgabe eines Museums übernehmen,
museumspädagogische Angebote und Führungen müssen
hinzukommen.
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