ANNE WANNER'S Textiles in History   /  publications

Antependien des 14. Jahrhunderts, im Textilmuseum St. Gallen
von Anne Wanner-JeanRichard
Publiziert 1981 in: Textilkunst Heft 1 / 1981, S. 23

vgl. auch:
Ein Antependium für das Kloster Engelberg
von Anne Wanner-JeanRichard
Publiziert 1991 in: Die Manessische Liederhandschrift in Zürich, von Claudia Brinker und Dione Flühler-Kreis, Ausstellung 12. Juni bis 29. September 1991, Schweiz. Landesmuseum Zürich, 1991, S. 264.


  Literaturauswahl:
- Brigitta Schmedding, Antependien, in: Ausstellungskatalog Mensch und Tier, S. 5-7, St. Gallen 1975
- Brigitta Schmedding, Mittelalterliche Textilien in: Kirchen und Klöster der Schweiz, Bern, 1978, S. 121-123, 131
- Claudia Brinker und Dione Flüeler-Kreis, Die Manessische Liederhandschrift in  Zürich, Ausstellungskatalog, Ausstellung von Juni bis September 1991, Schweiz. Landesmuseum, Zürich 1991
- Engelberger Antependien, von Cordula M. Kessler, in: Leopold Iklé, ein leidenschaftlicher Sammler, hgg Textilmuseum St.Gallen, S. 24,25


 



Antependium mit Auferstehung, Geburt, Lamm Gottes
Inv.Nr. TM 24091 (Iklé 1198), H 86cm, B. 170 cm, konserviert Abegg-Stiftung Riggisberg BE 1976
Standort Textilmuseum St.Gallen, wohl Engelberg OW, 1330/1340


 
 
 

Ausschnitt aus Antependium mit Auferstehung

 

Ausschnitt aus Antependium mit Auferstehung

   
 
Vor allem die Darstellungen von Geburt und Auferstehung finden in den von Engelberger Nonnen gemalten Psalterien (Cod. 60, fol. 7v, 16v. und Cod. 62, fol. 14r, Stiftsbibliothek Engelberg) aus dem 4. Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts wesensverwandte Bilder.
Ebenfalls verwandt sind Werke des hochrheinisch-konstanzischen Kunstkreises: St. Galler Weltchronik, Graduale von St. Katharinenthal.

Es ist möglich, dass die Stickereien im Engelberger Nonnenkloster entstanden, obwohl die Psalterien als ihre Vorlagen etwas spät erscheinen. Denkbar wäre ein heute verschollenes gemeinsames Vorbild für Antependien und Psalterien.

Sticktechnik:
Stickgrund naturfarbenes Leinen. Stickerei: vielfarbige Seidenfäden in Stielstich, auch als Sumakstickerei (Zöpfchen bildend) bezeichnet, und in musterbildendem Flachstich. Gold- und Silberfaden, Lahn um Seidenseele in Anlegetechnik.


 



Ausschnitt aus Antependium mit Auferstehung

 
   
 

 

Antependium mit Lamm Gottes und Evangelistensymbolen
Inv.Nr. TM 24090 (Iklé 1197), H 93cm, B. 160 cm, konserviert Abegg-Stiftung Riggisberg BE 1976
Standort Textilmuseum St.Gallen, wohl Engelberg OW, 1330/1340


Inschrift:
AVE.MATER.MITIS.AGNI.C',NOM(.)REG (.) MA, MISSUS.ABARCE. VENIEBAT, MAGNAM. ( ) E DNS ABBAS. WALTHER / US.DE.MONTE. ANGELORUM.V / ENERABILS.ET.RELIOSUS


  Die beiden Antependien gelangten zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Schenkung Leopold Iklés in das Textilmuseum St. Gallen.

Vorher hatten sie sich im Benediktinerinnen-Kloster St. Andreas in Sarnen befunden, zeitweise etwas unbeachtet, denn der eine Behang konnte von einem Pater gerade noch vor dem Schicksal eines Putzlappens gerettet werden.
Spuren der Jahrhunderte sind denn auch heute noch sichtbar: viel farbige Seidenstickerei ist ausgefallen, manche Formen erscheinen verwischt und unklar. Unter den Händen von fachkundigen Restauratorinnen der Abegg-Stiftung in Riggisberg verschwanden aber alle Verunreinigungen und vezogenes Gewebe wurde wieder gerade gelegt.

Die Nonnen von St. Andreas hatten sich 1615 von dem Doppelkloster in Engelberg (Innerschweiz) getrennt und waren nach Sarnen übergesiedelt, somit stammen die Antependien, soweit sich das zurückverfolgen lässt, aus Engelberg.

Das eine weist in seinen beiden Seitenfeldern geometrische Musterung auf. Es sind Achteckfelder mit steigenden Löwen, Hirschen oder stilisierten Bäumchen. Das weissgrundige Mittelteil zeigt Medaillons mit dem Lamm Gottes und den 4 Evangelistensymbolen, sowie dem Verkündigungsengel und der Maria. In den Inschriftenfriesen, welche die Hauptfelder voneinander abgrenzen, wird Abt Walther genannt. Es muss sich um Walther III. handeln, der von 1317-1331 in Engelberg sein Amt ausübte.

  Ein Vergleich mit dem sogenannten Agnesmantel, der bis heute in Engelberg aufbewahrt ist, drängt sich auf. Wahrscheinlich schenkte Königin Agnes dem Kloster bestickte Decken, welche dort zu einem Pluviale umgearbeitet wurden. Bei dieser Gelegenheit muss man eine Schmuckborte und eine Inschriftenborte angefügt haben, und nach Auskunft der Inschrift, in welcher der Name Agnes erwähnt wird, wäre dies um 1318 geschehen. Der Mantel ist mit einem Netz von Rauten bestickt, und in den Feldern wechseln Adler und Löwen mit geometrisierten Pflanzenmotiven ab.

Aber nicht nur diese Tiere und Pflanzen erinnern an den Altarbehang in St.Gallen, auch die Sticktechnik ist sehr ähnlich: beide Male sind Rahmen und Motive mit weissen Leinenfäden und versetztem Gobelinstich in doppelten Stichen gestickt. Bei den Gründen ist das leinene Grundgewebe mit farbigen Seidenfäden in Stielstich vollständig ausgestickt.

Dieselbe Gestaltungsweise, z.T. mit unterschiedlichen Sticharten, kommt auch auf anderen in Sarnen aufbewahrten Stickfragmenten vor, und es sieht so aus, als hätten wir hier typische Merkmale für Schweizerische Stickereien des 14. Jhs vor uns.
Diese Annahme wird bekräftigt durch die Tatsache, dass auch bei schweizerischen Leinenstickereien des 14. Jahrhunderts die beschriebene Art des Plattstiches und die Darstellung von Tieren und schematisierten Pflanzen häufig anzutreffen ist.

 



Ausschnitt aus Antependium mit Evangelistensymbolen

 



Ausschnitt mit Maria als Wöchnerin

 
  Das andere St.Galler Antependium zeigt demgegenüber vermehrt musterbildenden Flachstich und Gold- und Silberfaden in Anlegetechnik, aber auch hier kommen vielfarbige Seidenfäden in Stielstichstickerei vor.

Der Altarbehang besteht aus drei Bildfeldern und fünf ornamentalen Borten:
das Mittelfeld zeigt den gekrönten Christus mit der Fahne aus dem Grab aufsteigend, unten sind die schlafenden Wächter wiedergegeben, auf dem hinteren Grabrand stehen zwei Engel mit Schriftbändern.
Links davon liegt Maria mit Kopftuch und Krone in ihrem Wochenbette, das mit einem gemusterten Uebertuche bedeckt ist,
im rechten Teil wird das Altarsakrament symbolisch dargestellt: zwei Engel tragen die Hostie mit dem Bild des Gotteslammes, darüber erscheint als Brustbild Christus in Weinranken und unter dem Baum erahnt man noch eine kniende Figur, vermutlich Moses vor dem brennenden Dornbusch.

Diese Bilder lassen sich vergleichen mit Miniaturmalereien, wie sie beispielsweise in der St. Galler Weltchronik (Ende 13. Jh.), im Graduale von St. Katharinenthal (1312) oder in der Manesse Handschrift (gegen 1340 )
  vorkommen, und die figürlichen Darstellungen geben sich stilistisch als zur hochrheinisch-konstanzischen Kunstlandschaft gehörig zu erkennen; dies obwohl auf dem Antependium einige seltene Bezüge vorkommen, wie etwa die Geburtsszene mit der Trinität und der gekrönten Maria oder die Verbindung vom Lamm Gottes mit der Szene des Moses vor dem brennenden Busch.

Eingangs wurde erwähnt, wie die beiden bestickten Altartücher nach St.Gallen gelangten, wie sie aber nach Engelberg kamen, lässt sich nur vermuten.

Dazu ist es interessant, die Lebensgeschichte der Agnes von Ungarn kurz zu verfolgen: Sie war die Tochter König Albrechts von Habsburg, der 1308 bei Windisch am Reussübergang ermordet wurde. Als dieser Königsmord geschah, hatte Agnes bereits bewegte Jahre hinter sich. 1297 war die 17jährige mit König Andreas von Ungarn vermählt worden; aber vier Jahre später treffen wir sie als Witwe in Wien, dem damaligen Mittelpunkt des habsburgischen Grossreiches. Agnes unternahm mehrere Reisen; sie und ihre Mutter Elisabeth traten bis ins Elsass hinein als Wohltäterinnen von Klöstern auf.
       
 
  Es sind auch Beziehungen zu Engelberg (Innerschweiz) überliefert und man weiss, dass Agnes 1307 in die Verbrüderung jenes Klosters aufgenommen war.

Elisabeth gründete das Kloster Königsfelden bei Windisch zur Erinnerung an ihren ermordeten Gatten, und als sie 1313 starb, siedelte Agens ganz dorthin über. Von hier aus leitete Agnes die Geschicke des Herzogshauses mit viel Einfühlungsvermögen und beeinflusste die frühe Entwicklung der Eidgenossenschaft.

Ihre Mittel waren nicht Krieg und Kampf, sondern friedliches Verhandeln, denn das Ziel das sie anstrebte, war die friedliche Ordnung einer aus den Fugen geratenen Zeit.

Von den in der Schweiz erhaltenen Stickereien des 14. Jahrhunderts lassen sich einige mit Königin Agnes in Beziehung setzen. Drei Stickereien, ohne eingearbeitete Inschriften, ehemals aus Königsfelden, heute im Historischen Museum in Bern, wurden ohne Zweifel für Königin Agnes verfertigt. Die beiden St. Galler Antependien sind zumindest zu ihren Lebszeiten entstanden und in Engelberg bei kirchlichen Anlässen verwendet worden. All dies deutet darauf hin, dass Agnes für Stickereien grosses Interesse hatte, ja möglicherweise die Kunst des Stickens in Engelberg und in Königsfelden besonders förderte.
 


Heilige Katharina aus:
Königsfelder Antependium mit Kreuzigungsgruppe
und sechs Heiligen, Historisches Museum Bern

       
       

content  Last revised 16 June, 2006