ANNE WANNER'S Textiles in History / publications |
Zu einem Stickereibehang im Fextal (Kanton
Graubünden, Schweiz), datiert 1624, Privatbesitz; von Anne Wanner-JeanRichard Publiziert 1968 in: Neue Bündner Zeitung, Chur |
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Seit einiger Zeit besitzt
die Kirche in Fex, im Kanton Graubünden, diesen
prachtvollen Wandbehang, der 214cm x 88cm gross ist und
die Jahrzahl 1624 trägt. Vor uns haben wir die Weihnachtsgeschichte, es ist das neugeborene Christusknäblein, das im Zentrum des Geschehens auf Heu gebettet ist und auf einem Tuche liegt. Ganz nahe bei der Krippe knien drei betende Engel, und auch Ochs und Esel nehmen eine bevorzugte Stellung in der Nähe des Kindes ein. - Natürlich gehört Maria ebenfalls zu dieser zentralen Bildgruppe. Joseph dagegen scheint etwas abgetrennt durch eine halbhohe Mauer, auf die er sich gedankenverloren stützt. Eine kühne Darstellung voller Schwung und Bewegung ist der Stickerin mit der Gestalt des Hirten geglückt. Er zeigt sich in Rückenansicht und hat vom Feld ein Schaf als Gabe mitgebracht. Ein anderer Hirte kniet betend bei der Gruppe. Nicht vergessen wurde die Szene auf dem Felde. Allerdings sind die erstaunten Hirten und der Verkündigungsengel mit dem Band, auf dem "Gloria in Excelsis deo" steht, in den Bildhintergrund gerückt. Es wird so deutlich, dass es sich um eine vorangegangene Begebenheit handelt. Kleinigkeiten sind liebevoll und mit grosser Sorgfalt wiedergegeben. Säge und Beil neben der Handwerkerschachtel bezeichnen Josephs Berufsstand, und in Mariens Nähe sind nicht die |
üblichen Mariensymbole,
sondern ein Nähkörbchen mit einer Schere dargestellt.
Auch weist die Stickerin auf die Beleuchtung hin: über
dem Ochsen hängt die Stalllaterne fein säuberlich an
einem Nagel, und ausserdem dringen die himmlischen
Strahlen bis in den Stall hinein. Etwas abseits, auf einem Dachbalken, hockt ein Käuzlein, das sich das Geschehen von oben her ansieht. Zum Hirten endlich, gehört ein Holzkübel, der allerdings in diesem Moment, in welchem der Mann herbeieilt, umgekippt ist und zur Seite rollt. Dieser heranstürmende Hirte bildet ein Gegengewicht zum sinnenden Joseph. In seinem ausgestreckten linken Arm, in dem er den Stock hält, nimmt eine Bilddiagonale ihren Anfang, die über die Köpfe von Hirt und Engel direkt auf das Christusknäblein zuführt. Die Gegenbewegung beginnt im empor weisenden Christusärmchen und geht über den Arm von Maria zum sich aufstützenden Joseph. Verfolgen wir diese beiden diagonalen Bildlinien, so fällt uns auf, dass sie begleitet sind von den verschiedensten Handstellungen, die von feiner Beobachtung und wirklicher Geschicklichkeit der ausführenden Hand zeugen. Auch die Gesichter sind sehr ausdrucksvoll gestaltet. Alle blicken mit dem Ausdruck der Bewunderung auf Christus, und heben dadurch dieses Zentrum zum bedeutenden Mittelpunkt hervor. |
Der Wandteppich ist
gestickt, aber er hat durchaus das Gepräge eines
gewirkten Behanges, und es stellt sich die Frage, ob hier
nach einem gewirkten Vorbild (Wirkerei ist eine der
Weberei verwandte Technik) gearbeitet wurde. Die Hochblüte von Wirkteppichen, wie sie in der Schweiz vor allem in Basel und Umgebung entstanden sind, dauerte etwa von 1450-1550. Hielten wir jedoch einen Teppich jener Zeit neben unseren Behang, so würde uns sofort auffallen, dass bei jenen gotischen Behängen die Figuren meistens ziemlich isoliert für sich dastehen, und dass senkrechte Bildlinien vorherrschen. Das räumliche Element wird bei den Wirkereien dieser Zeit wenig betont, und Kühnheiten wie die Rückenansicht unseres Hirten, wären undenkbar gewesen. Die gestickten Teppiche sind in ihren Abmessungen den gotischen Wirkteppichen ähnlich. Seit ungefähr 1520 bilden sie gewissermassen eine Fortsetzung jener gotischen Arbeiten. Die Stickerei hat den |
Vorteil, dass sie mit
weniger technischen Mitteln auskommt. So entstand ein
solcher Behang nicht auf dem Webstuhl oder Webrahmen. Die
gewünschten Szenen wurden vielmehr mit Nadel und Faden
auf ein bereits vorhandenes Gewebe gestickt. Beliebtester
Stickstich war der Kloster- oder Ueberfangstich, der das
darunterliegende Gewebe sehr gut und oft auch
vollständig überdeckte. Das vorliegende Beispiel mit Jahrzahl 1624 wäre somit bereits am Ende dieser Gruppe anzusiedeln. Der frühere meist vorwiegend zweidimensionale Teppichstil ist hier einer räumlichen Darstellungsweise gewichen. Hinweise für die Entstehung der gestickten Behänge finden sich in der Nord- und in der Zentralschweiz, bis hin ins Gebiet des Bodensees. Beispiele kommen auch in Süddeutschland vor. Das Schweizerische Landesmuseum in Zürich, wie andere historische Museen der Schweiz beherbergen Sammlungen ähnlicher Arbeiten. |
content | Last revised 15 March, 2006 |