ANNE WANNER'S Textiles in History / publications |
Handschuh und Kreuzstich - ein Leben für Textilien, in: Schweizerische Arbeitslehrerinnen Zeitung 10/1989, S. 20 - 22 |
Literaturhinweise:
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![]() Kleine Decke, Inv.Nr. 42802 |
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![]() Detail aus roter Decke, Inv.Nr. 42806 |
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Anlass zu den folgenden
Ausführungen gab eine Schenkung im Herbst 1988 von
äusserst sorgfältig gearbeiteten Decken mit
Kreuzstichmustern an das Textilmuseum St. Gallen. Die
Handarbeiten entstanden zur Freude und Erholung in
Mussestunden und fanden Verwendung im Haushalt der
Stickerin Bertha Frey-Gätzi. Sie wurde im Jahre 1900 in
Degersheim geboren, einem Ort im Kanton St.Gallen, der um
die Jahrhundertwende eine ganz besondere Blüte der
Stickerei erlebte. Hier entwickelte sich die
Maschinenstickerei in enormem Mass. Bereits 1855 gründete man eine erste Fabrik mit mechanischen Stickstühlen, und im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nahm auch die Einzelstickerei zu. Das ist eine für die Ostschweiz typische Form der Heimarbeit. Aehnlich wie früher in manchen Gegenden Webstühle in den Häusern standen, besass der Einzelsticker in seinem eigenen Haus eine eigene Stickmaschine. Hier war sein Arbeitsplatz, wo er mit Ehefrau und seinen Kindern, den unentbehrlichen Helfern beim Einfädeln der Nadeln und bei vielen anderen kleinen Arbeiten oftmals wenig genug verdiente. Die Aufträge besorgte ein Vermittler, der sog. "Fergger", der auch die fertigen Arbeiten abholte und bezahlte. Bertha Gätzi musste zwar nicht beim Sticken mithelfen, doch kam sie sicher schon im frühen Kindesalter mit textilen Arbeiten in Berührung, denn nach dem Tod des Vaters führte die Mutter im eigenen Haus eine Näherei, um damit den Lebensunterhalt, für sich und ihre 3 Kinder zu bestreiten. Ausbildung und berufliche Tätigkeit, führten die junge Tochter nun zunächst vom heimatlichen Degersheim weg. Ihr grosser Wunsch, die Handelsschule in Neuenburg besuchen zu dürfen, ermöglichte ihre Mutter unter erheblichen Opfern. Bei Jelmoli in Zürich hatte sie bald darauf eine hohe Stellung inne und leitete später die Vereinigten Strumpf fabriken in St. Fiden und Flawil. |
Eine Frau in
leitender Position war in den 1920er Jahren eine
Seltenheit, wurden doch die Mädchen in erster Linie für
das Haus erzogen. Es gab zwar Schulen für Mädchen, doch
Mädchenbildung verstand man in erster Linie als
Allgemeinbildung und nicht zum Broterwerb. Nach
Haushaltungsschulen, Frauenarbeitsschulen,
Lehrerseminarien, öffneten auch Kunstgewerbeschulen ihre
Tore für Mädchen, denn das Kunstgewerbe, und vor allem
die Arbeit mit Textilien galt als der weiblichen Natur
entsprechend. |
![]() Detail aus kleiner Decke, Inv.Nr. 42787a |
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Vereinigung für
Heimatschutz ins Leben gerufen, die das Ziel hatte, die
Schweiz in ihrer Vielfalt zu schützen. Nach dem 1.
Weltkrieg erfasste eine Bodenständigkeitswelle unser
Land, man betrieb Mundartforschung, gründete eine
Gesellschaft für Heimattheater, ebenso die
Schweizerische Trachtenvereinigung. Neben dem Erhalten
ging es aber auch um die Schaffung eines dem
Volkscharakter entsprechenden nationalen Stils. Der sog.
"Heimatstil" fand seine Verbreitung erst zu
Ende der 30er Jahre und orientierte sich seinerseits an
der Zeit vor 1914. Zum einen bedeutete der Heimatstil
Kampfmittel innerhalb der geistigen Landesverteidigung,
zum andern bildete er einen Gegenpol zum Modernismus. Man
glaubte mit einer Rückwende den Errungenschaften der
Technik entrinnen zu können. Besonders die Idee nach
Wiederbelebung des heimischen Handwerks verdichtete sich
immer mehr, und 1930 kam es zur Gründung des Schweizer
Heimatwerks. Eine Verkaufsorganisation zur Förderung des
ländlichen Handwerks sollte aufgebaut werden, welche die
Aufgabe hatte, Bergbauern eine Beschäftigung während
der Wintermonate zu sichern. Das Sammeln und Aufzeichnen der traditionellen Kreuzstichmuster gehört in den Rahmen dieser Strömungen. Die oben genannten ersten Musterbücher, und die weiteren, die sog. Volksauflagen von 1933, 1934, 1937 erreichten weite Bevölkerungskreise. 1939, im Jahr der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich, kam schliesslich die umfangreichste Auflage von Bündner Kreuzstichmustern mit allen Motiven aus den Sammlungen der beiden ersten Mappen neu heraus . |
Aufbau
der Strickhandschuh Fabrikation Kehren wir zu Bertha Gätzi zurück. Auch sie kannte die Ideen der Zeit, nach denen die heimische Kunstgewerbe-Tradition zum wirtschaftlichen Nutzen des Vaterlandes gereichen sollte, nach denen die Ornamente der Volkskunst dem Zeitgeschmack angepasst werden mussten. Das Jahr 1939 brachte für sie eine Wende: Anhand von Zollstatistiken hatte Bertha Gätzi festgestellt, dass eine grosse Menge von Strickhandschuhen aus dem Ausland importiert wurden, und dass in der Schweiz eine entsprechende Produktion fehlte. Sie überlegte sich, dass in der Schweiz hergestellte Handschuhe während der Kriegsjahre gute Verkaufsaussichten haben könnten. Strickhandschuhe wären in ähnlicher Technik zu fabrizieren wie Strümpfe, zudem könnte sie in einem eigenen Unternehmen auf die bei ihrer früheren Tätigkeit erworbenen Kundenbe-ziehungen aufbauen. Sicherlich machte sie sich Gedanken über den Rückgang der mechanischen Stickerei, von dem ihr Heimatdorf Degersheim in starkem Mass betroffen war. Sie kehrte nun in die Heimat zurück und begann im Parterre ihres Elternhauses mit zwei Mitarbeiterinnen auf zwei Handstrickmaschinen Handschuhe zu fabriziern. Zuerst, stellten die Frauen einfache Wollhandschuhe für Soldaten her, später Fingerhandschuhe, auch Skihandschuhe und Kinderhandschuhe mit kleinen Verzierungen. |
![]() Detail aus kleiner Decke, Inv.Nr. 42800 |
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![]() Detail aus kleiner Decke, Inv.Nr. 42796 |
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Bertha Gätzi hatte sich
nicht, getäuscht, der kleine Betrieb gedieh rasch und
schon bald benötigte sie weitere Maschinen und grössere
Räumlichkeiten. Letztere fand sie im Gebäude der
ehemaligen Stickereifirma Kühn, und hier verschaffte sie
vielen Bewohnerinnen des Dorfes willkommene Arbeit und
Verdienst. Zudem beschäftigte sie Heimarbeiterinnen in
Degersheim und Umgebung. 1940 heiratete die Unternehmerin den in der Strickmaschinenfabrik Dubied tätigen Ernst Frey. Dieser hervorragende Textiltechniker und Entwerfer von neuen Strickmustern ergänzte und unterstützte die Gattin in der beruflichen Tätigkeit. Zusammenarbeit mit der Bündnerin Elly Koch Die 1940er und 50er Jahre scheinen für die privaten Stickereien der Geschäftsfrau die fruchtbarsten gewesen zu sein. Dabei spielte nun die Zusammenarbeit mit der Bündnerin Elly Koch eine sehr wichtige Rolle. Elly Koch, 1916 geboren, eröffnete kaum 20jährig in Chur am Kornplatz ihr Handarbeitsgeschäft. Sie interessierte sich schon seit einigen Jahren für Bündner Kreuzstichmuster, suchte solche in abgelegenen Bergtälern ihres Heimatkantons, legte Sammlungen an und gab Vorlagehefte heraus. Seit 1942/3 und sicher 27-28 Jahre lang stellte Elly Koch für Bertha Frey-Gätzi Modelle für Handschuhverzierungen her. Dazu reiste sie jeweils im Januar für 2-3 Wochen nach Degersheim, denn im Februar kamen die Einkäufer, um ihre Auswahl aus den neuen Kollektionen zu treffen. |
Elly Koch erzählte, dass
sie jeweils nur den einen Handschuh bestickte, d.h.
diesen mit kleinen Kreuzstichmustern schmückte. Eine
Arbeiterin, die später die Heimarbeiterinnen anleiten
würde, sass neben ihr und stickte den anderen Handschuh.
Um die benötigte Arbeitszeit, zu messen musste man
daraufhin ein weiteres Paar mit der Stoppuhr arbeiten. In diesen Wochen wohnte Elly Koch bei Familie Frey , und am Abend stickten die beiden Damen miteinander alte Bündnermuster. Dabei stammen die Entwürfe und die Anordnungen der Motive von Elly Koch, die Geduldsarbeit der Stickerei ist Bertha Frey-Gätzi zuzuschreiben, und auch deren Hausangestellten, die in den Nachmittagsstunden einzelne Arbeiten weiterführte. Bertha Frey, die erfolgreiche und aktive Geschäftsfrau sah im Aneinanderreihen der einzelnen Stiche kaum geisttötende Arbeit, im Gegenteil wird sie in dieser meditativen Beschäftigung Erholung gefunden haben, denn sie konnte bei den stillen Arbeiten ihre Gedanken wandern lassen, und bestimmt war das Sticken für sie eine Quelle vieler guter Ideen. In unserer stressgeplagten Zeit, oder vielleicht besser gesagt, in einer Zeit voller Zerstreuungen, sollte man sich vermehrt solchen meditativen Tätigkeiten, wie eben den Nadelarbeiten widmen, um durch Verinnerlichung wieder zu sich selber zu finden. |
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Zweimal reisten die beiden
Frauen miteinander nach Dänemark und liessen sich von
nordischen Kreuzstichmustern beeinflussen. Sie kauften
dort Packungen mit Mustervorlagen und Stickmaterial. Frau
Frey führte die Arbeiten zu Hause aus. Die dänischen
Kreuzstichmuster sind weniger stark stilisiert, es kommen
naturalistische Blumen und Vogeldarstellungen vor, auch
ist die Farbpallette umfangreicher als bei den Bündner
Stickereien. Für das Handschuhgeschäft war der Export nach Amerika seit den 50er Jahren zunehmend wichtig geworden. EIly Koch entwarf für diesen Markt ebenfalls Verzierungen, die sich von den heimischen Traditionen allerdings etwas entfernten. Es entstanden in diesen Jahren lange Abendhandschuhe aus feinstem Tricot. Sie wurden mit Glasperlen, Glasdiamanten, Pailletten geschmückt. Immer noch gelangten Kreuzstichvorlagen zur Verwendung, dabei entsprach jeweils eine Glasperle einem Kreuz in der Vorlage. An einem einzigen Handschuh-muster arbeitete Elly Koch manchmal bis zu 5 Stunden . 1970 verkaufte das Ehepaar das blühende Unternehmen und zog sich ins Privatleben zurück. Mehrere Reisen wurden für sie zu einem beglückenden Erlebnis. Aber 1985 setzte Bertha Frey-Gätzi der Tod ihres Gatten sehr zu, und seit 1986 fand sie im Pflegeheim Rosenau in Kirchberg gute Aufnahme, bis sie am 16. März 1988 ruhig und still einschlief. |
Die Tätigkeit von Elly Koch
und Bertha Frey-Gätzi entsprach ganz direkt den Zielen
des 1913 gegründeten Werkbundes. Dort. wollte man die
Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Industriellen
fördern, die gewerbliche Arbeit veredeln, dem
Kunstgewerbe zu neuem Ansehen verhelfen. In den Freizeitarbeiten von Bertha Frey zeigt, sich das Wiederaufleben alter Traditionen besonders deutlich. Sie stickte die Bündner Motive in den 40er und 50er Jahren. Aber noch in unseren Tagen, fast 50 Jahre später, sind Bündner Muster ein Begriff geblieben, denn in der Schweiz haben sich nirgends ähnlich reichhaltige Motive erhalten. Dank der Sammeltätigkeit und dem künstlerischen Sinn von Bündnerinnen, besonders von Elly Koch, haben sie überlebt. Die traditionellen Muster können neue Bedeutung bekommen, in Zukunft vermutlich weniger für die industrielle Produktion, sondern eher für die stille Tätigkeit zum Ausgleich der täglichen Hektik. Für wertvolle Mitteilungen und Hinweise danke ich Frau M. Baumgartner und Frau Elly Koch. |
content | Last revised 15 May, 2012 |