ANNE WANNER'S Textiles in History / publications |
Die Treuesucherin, Tischdecke mit
Leinenstickerei in: Museumsbrief Nr. 71, Historisches Museum St. Gallen, März 1994, von Anne Wanner-JeanRichard |
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Literaturverzeichnis: - Alther, E.W., Andreas Hör, der St.Galler Maler, St. Gallen 1979 - Anderes, Bernhard, Nachreformatorische Wandmalereien im Kanton St.Gallen bis um 1630, in: Rorschacher Neujahrsblatt 1984, 74.Jhg., S. 23 - Fischer, Rainald, P., Malereien der Renaissance in Appenzell Innerrhoden, in: Unsere Kunstdenkmäler 26, 1975, S. 277 - Hersche, Peter, Zu den Wandmalereien Caspar Hagenbuchs d.J. in Appenzell, in: Innerrhoder Geschichtsfreund, 17, 1972, S. 5 - Rapp Buri Anna und Stucky-Schürer Monica, Zahm und wild, Basel 1990 - Schiessl, Ulrich, Bemalte Holzdecken und Täfelungen, Bern und Stuttgart 1987 - Schmid, Alfred A., Die Buchmalerei des 16. Jhs in der Schweiz, Olten 1954 - Specker, Louis, Das Glasgemäldekabinett des Histor. Museums St.Gallen, St.Gallen 1989 - Trudel, Verena, Schweizerische Leinenstickereien, Bern 1954 - Villiger, Verena, Macht, Moral, Bildung, in: ZAK 1, 1993, Bd.50, S. 35 - Wanner-JeanRichard, Anne, Leinenstickereien aus der ehemaligen Sammlung Iklé, St.Gallen 1990 - Ziegler, Ernst, Das "Blaue Haus" und seine Umgebung, eine Quartier- und Hausgeschichte, in: Rund ums Blaue Haus, St.Gallen 1993, S 11. |
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Beschreibung Die um 1600 entstandene Tischdecke misst den Mittellinien nach 103cm x 131cm, und weist 17 Fäden pro cm auf. Quasten befinden sich in der Ecke links unten, sowie je seitlich in der Mitte. Links oben erscheint ein Hauszeichen und Initiale. Oben ist ein Streifen von 32 cm sorgfältig und fast unsichtbar angesetzt, Zeichnung und Schrift nehmen darauf keine Rücksicht und laufen darüber hinweg. Einige geflickte Löcher sind vorhanden. Die ungefärbte Leinwand ist hauptsächlich mit Klosterstich bestickt, dieser ist vielerorts weggefallen und darunter wird die Vorzeichnung sichtbar. Vor allem die Schrift ist vorgezeichnet besser zu lesen als in den bestickten Partien. Neben weiss und braun wurde auffallend viel blaues Leinenstickgarn verwendet. Die Szenen sind um ein Mittelmedaillon herum angeordnet, weder folgt jedoch ein Bild des Geschehens auf das nächste, noch weisen diese dieselbe Grösse auf. Die untere Szene nimmt die ganze Breite der Decke ein. Links und oben ist je drei Viertel der Breite für die Erzählung verwendet, rechts findet sich das schmalste Bild von einem Drittel der Breite. |
Darstellungsinhalt Die Decke stellt die Suche nach der Treue dar, das ist eine Geschichte, die auch auf Wirkteppichen des ausgehenden 15. Jhs vorkommt. Auf Leinenstickereien sind Klagen über Treuelosigkeit und Schlechtigkeit der Welt keine Seltenheit. Das Mittelmedaillon zeigt zwei fischende Frauen. Die jüngere mit unbedecktem Kopf und offenen langen Haaren, findet ein verschlungenes Händepaar (Treuesymbol) im Wasser, währenddem die andere mit hochgesteckten Zöpfen und Barett ihr Kleid ein Stück weit unter den Gürtel gezogen hat, damit es nicht nass wird, und einen Fisch ans Land zieht. Begleitende Spruchbänder erläutern das Geschehen: - es ist mier wolergangen Ich han ein thruw gefangen - der Fisch tut mier wolbas dan thruw ist nicht was sie ainnast was |
![]() Detail with girl fishing the symbol of faith whereas the lady is fishing just a ordinary fish!! |
Am Rande rechts beginnt die
Frau mit ihrer Suche nach der Treue. Sie ist von
Blättern und Blüten umgeben, und im Spruchband steht: - ich wond ich wöllt thruw und wolgemut gefangen han So muss ich wermut das biter krut vergüt han Daraufhin (oben) wendet sie sich an einen Jüngling und fragt ihn wo Treue zu finden sei. Er kann ihr keine Antwort geben, da er selber gerade von einer Frau verlassen wurde - Edler Jüngling was thrürest hie allain was sol ich mit disen winden das ich thrüw möge finden - Frow von kainer thrüw kan ich niet sagen Jer mögend wol fierbas Jagen Dan der ich am besten verthewet han die hat mich gantz und gar verlon |
Die Frau wendet sich nun mit
ihrer Frage an einen Mönch (unten), der ihr entgegnet,
die wahre Treue sei nur bei Gott zu finden: - Bruder arnoldt was söl ich mit dise winden das ich thrüw möge finden - Frow ich sag üch one spot wend ier trüw sochends bej gott Noch nicht zufrieden mit ihrer Suche, fragt sie einen Falken im Baum (links), der ihr den Rat des Bruders empfiehlt, denn nur so könne sie das ewige Leben gewinnen. - Edeler falche stolz wonnet nit thriw in disem Holz - Frow ich schwing mich hin und dar kainer tr.. ward ich nit gewar. Bruder arnolt hat üch ain rat gebe de folged so kumed ir in das ewig leben. |
![]() Young man and old monk explaining the meaning of true faith |
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Die Treuesucherin ist am
Rande der Stickerei viermal abgebildet: das erste Mal von
vorne, steht sie mit ausgebreiteten Händen in einem
reich beblätterten und mit Blüten versehenen Busch, die
anderen drei Male ist sie in Seitenansicht, schreitend
und mit einem Gespann von 2 Jagdhunden dargestellt.
Jedesmal hält sie die Hundeleinen in der linken Hand und
weist mit der Rechten auf die Person, mit der sie sich
gerade unterhält. Dies ist zuerst der modisch gekleidete
und auf einem Baumstrunk sitzende Jüngling, dann der
alte Mönch mit Stock, der mit der Hand gegen den Himmel
weist, und schliesslich der Falke im Baum. Das Wiederholen von Hauptpersonen in Geschichtenfolge ist typisch für das bildliche Erzählen in früheren Jahrhunderten. Das Aufnehmen von Bildinhalten kam einer Art Lesen gleich. Für den des Lesens Unkundigen halfen die Bilder zum Verständnis, und sie wirkten auf ihn stärker als das gedruckte Wort. Darüber hinaus suchte auch der gelernte mittelalterliche Leser hinter dem wörtlichen einen allegorischen Sinn. Auf unserem Beispiel wird dies durch die beigefügten Inschriften deutlich. |
Die Blattranken Auf dem Teppich mit Treuesucherin sind die Ranken und Blüten sehr sorgfältig gearbeitet. In der unteren Zone sind diese besonders reich gestaltet, wachsen aus 2 Vasen, die je rechts und links in den Ecken wiedergegeben sind. In der Mitte dieses Teils der Decke überkreuzen sich zwei Ranken und gehen in zwei Füllhörner über, aus diesen wachsen weitere Blätter und reiche Phantasieblüten. In der letzten Szene (links) ist ein Baum abgebildet, die Blätter unterscheiden sich deutlich von den übrigen der Stickerei. Während bei Leinenstickereien oftmals Stickstiche die Flächen überziehen ohne Rücksicht auf Faltenwürfe oder plastische Formen, kommen auf unserem Beispiel Schraffierungen vor. Dies lässt vermuten, dass ein graphisches Blatt Anregung zur Komposition bildete, denn Schraffierungen betonen vor allem im gedruckten Bild Plastizität von Figuren und Pflanzen, heben Licht und Schatten hervor. |
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Dekorative
Pflanzenhintergründe finden sich bereits im 15.
Jh. bei den Basler Heidnischwirkereien. Vergleichbare
sogenannte Akanthusblätter, die ebenfalls mittels
Schraffierungen Licht und Schatten einfangen, kommen auf
mehreren dieser farbigen Woll-Wandbehänge vor. Bei den
Teppichen überziehen die Ranken den Hintergrund
tapentenartig, auf den Leinendecken des 16. und 17. Jhs
dagegen sind sie gleichwertiges Gestaltungselement
geworden, sie umrahmen und betonen die Figuren, nehmen
auch Bezug auf Form und Funktion der Decke. Eine Pflanze ist auf unserer Decke als "Wermut das bitter krut" bezeichnet. Die Pflanze Wermut (artemisia absinthium) fand bereits im Altertum vielfältige Verwendung als Wundmittel, gegen Cholera, Pest, Magen-, Frauenleiden, Würmer, Läuse usw, später auch als magen-wärmende und verdauungsfördernde Arznei. Das ätherische Pflanzenöl ist giftig und bitter. Die gestickte Pflanze allerdings ist kein botanisch getreues Abbild des Wermut, dies ist eine Eigenheit vieler gestickter Pflanzen im 16. Jh.: zwar sind Teile von ihnen der Natur nachgebildet, so wie sie aber dargestellt sind, kommen sie in Wirklichkeit nicht vor. Auch Akanthus, wie ihn die Ornamentik kennt, mit gelappten, eingerollten, oft fleischigen und gegen unten breiten Blättern, ist keine wirkliche, in der Natur |
vorkommende Pflanze. Es
handelt sich dabei um eine Ornamentform, die schon die
klassische Antike verwendete, und die in fast jeder
Epoche der europäischen Kunst zu finden ist.
Aehnlichkeit mit den dichten fülligen Blättern des
Hahnenfuss oder mit Doldengewächsen wie Wiesenkerbel
oder Bärenklau kann man hie und da feststellen. Auf der Stickerei mit Treuesucherin sind die Blattformen nicht einheitlich. Manche Blätter umschliessen den Stengel bei der Anwachsstelle, auch dies eine Eigenheit, die bereits römischen Bodenmosaiken zeigen. Meistens enden diese Blätter in leicht gebogenen Spitzen. Breite Formen mit eingerolltem oberen Teil, also sog. Akanthus, ist zu finden. Andere gleichen eher Weinblättern, und der Baum mit dem Vogel, zeigt ein einfaches Buchenblatt. Auch die Blüten weisen mit botanischen Formen oft wenig Gemeinsames auf. Sie erfreuten sich ebenfalls über lange Entwicklungszeiten hinweg grosser Beliebtheit. Dies gilt vor allem für den Granatapfel oder für die Passionsblume. Andere Blüten wurden in Europa erst im 16. Jh. bekannt, wie z.B. Tulpen, die man 1561 erstmals bei uns abbildete, oder Blüten von Tomaten und Kartoffeln (Nachtschattengewächse), die sich in Europa in der 2. Hä. 16. Jh. verbreiteten. |
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Die Leinenstickereien in
der Schweiz Die Decke mit der Treuesucherin gehört zu einer Gruppe von etwa 450 ähnlichen Arbeiten aus dem Zeitraum vom 15.-17. Jh, die sich in Sammlungen innerhalb und ausserhalb der Schweiz erhalten haben. Bei diesen auch als Schweizer Decken bezeichneten Stickereien handelt es sich um Tischdecken, Handtücher, Kissenbezüge, die im Alltag wie im kirchlichen Bereich Verwendung fanden. Die weitaus meisten Beispiele stammen aus dem 3. Viertel des 16. Jhs bis in die ersten Jahre des 17. Jhs. Innerhalb der Gruppe wurden einheitliche Materialien und Sticktechniken verwendet. Charakteristisch für alle erhaltenen Arbeiten ist das Gestalten mit wenigen Farben, sowie das Beleben der Flächen durch Stickstiche; auf einer einzigen Decke können sich bis zu einem Dutzend verschiedener Stiche befinden. Bis heute kennt man Leinenstickereien nur aus der deutschsprachigen Schweiz, dies belegen entsprechende Familienwappen und die Tatsache, dass keine französischen oder italienischen Wappen und Inschriften bekannt sind. |
Man nimmt an, dass Orte mit
bedeutender Leinwandproduktion, wie die Bodenseegegend
und St.Gallen, hauptsächliche Zentren der
Leinenstickerei bildeten. Die grösste Dichte von genau
bestimmbaren Arbeiten erstreckt sich auf die Städte
Zürich, St.Gallen, Schaffhausen. In andere Teile der
Schweiz könnten die Decken durch Heirat, Erbschaft oder
Auftragsarbeit gelangt sein. In der Schweiz war die Stickerei scheinbar nicht in Zünften organisiert, denn es gibt keine Dokumente zu diesem Kunstgewerbe. Entwerfer wie Ausführende sind nur in Ausnahmefällen bekannt, und es herrscht die Ansicht, vor allem Bürgersfrauen hätten Gewebe mit Stickerei verziert. Auch Arbeiten in Frauenklöstern könnte man sich vorstellen. Es ist also unsicher, ob Stickereien nur in Häusern und Familien entstanden, oder ob es sich zumindest teilweise um Auftragsarbeit in Werkstattbetrieben handelte. Immerhin sollen die Töchter des Reformators Bullinger (1504-1573) in Zürich Bestellungen für Stickereien und Wirkereien übernommen haben. |
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Die Vorlagen für
Leinenstickereien Für das Gestalten im früheren und späteren Mittelalter bedeuteten Vorbilder und direkte Vorlagen namentlich im Kunstgewerbe eine Grundvoraussetzung. Vorbildliches ging von einer Generation zur nächsten, und als Original galt das, was in der Hand eines Künstlers wieder zur neuen Schöpfung wurde. Gemalte Randdekorationen und bildliche Darstellungen in handgeschriebenen Büchern konnten verschiedenste Kunsthandwerker anregen. Entsprechende Illustrationen finden sich besonders im Kloster St.Gallen, wurde doch hier die Schreib- und Malkultur von alters her gepflegt, und in den ersten Jahren des 16. Jhs lässt sich eine Hinwendung zum Naturalismus erkennen. Prachtvolle liturgische Handschriften entstanden vor der Reformation unter Abt Franz von Gaisberg. Abt Diethelm Blarer von Wartensee liess nach der Reformation, um die Mitte des l6. Jhs die sog. Blarer Handschriften reich illuminieren. Künstler wie Niklaus Bertschi oder Kaspar Härtli verwendeten wellenförmige Blattranken mit naturnahen Blüten und Phantasieformen. In Handschriften aus anderen Gebieten der Schweiz kommt das dekorative Rankenelement ebenfalls vor, erst im beginnenden 17. Jh. wird es seltener. In den 1630er Jahren ging die Zeit der klösterlichen Schreiber und Buchmaler ihrem Ende entgegen. |
Das gedruckte Bild
setzte sich als geeignete Anregung mehr und mehr durch.
Es gab im 16. Jh. eine Fülle verschiedener
Einblattdrucke und Flugschriften, die breite
Bevölkerungsschichten erreichte, weitere Anregung boten
Bibeldrucke, Bilderchroniken, Herbarien, Wappenbücher,
des 16. und 17. Jhs. Tatsächlich für Stickereien benutzte Vorlagen bildeten die Bilderchronik des Johannes Stumpf (1500-1575) aus dem Jahr 1548, oder die Zürcherbibel von 1531 mit Illustrationen von Hans Holbein d.J. (1498-1541). Auch Tierbilder aus der Historia animalis des Zürcher Arztes Conrad Gesner (1516-1565) wurden in Stickerei umgesetzt. Von 1523-1630 erschienen mehrere Modelbücher in Deutschland, Frankreich, Italien, die als Vorlagen für Stickereien und Spitzen gedacht waren. Für viele Kunsthandwerke von besonderer Bedeutung waren die ornamentalen Vorlageblätter. Hier spielte der Nürnberger Kreis mit Virgil Solis (1514-1562) und dem aus Zürich gebürtigen Jost Ammann (1539-1591), aber auch die Niederlande, z.B. mit Heinrich Aldegrever (1501-1561) eine grosse Rolle. Der Möglichkeiten zu anregenden Vorlagen zu kommen gab es viele, und es erstaunt nicht, dass man im einzelnen Fall die genau verwendete Vorlage nur ganz selten wiederfindet. |
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Stickerei und Malerei im
16. Jh. Allegorien, figürliche Szenen, wie dekorative Ranken und Blätter finden sich auf Erzeugnissen verschiedener Kunsthandwerke, z.B. auch auf Kabinettscheiben. In dieser Kunstgattung sind zahlreiche Künstler des späten 16. Jhs aus mehreren Schweizer Städten mit Namen bekannt. Neueren Untersuchungen gelang es in mittelalterichen Glasmalerei-Werkstätten Sammlungen von Vorlagen nachzuweisen, und es scheint, dass die Kunden ihr gewünschtes Bildprogramm nach vorhandenen Vorlagen selber zusammenstellten. Wäre es denkbar, dass ein solcher Vorlagen Vorrat auch Anregung bot zu Vorzeichnungen von Stickereien? Als Beispiel sei hier der St.Galler Glasmaler Andreas Hör genannt. Mit seiner Metzgerscheibe behandelte er ein Thema, das vielleicht anregte zu der Leinenstickerei mit Rindern (heute aufbewahrt in Zug) Wandmalereien in Bürgerhäusern könnten ebenfalls für textile Arbeiten als Vorbild gedient haben. Dabei ist zu bemerken, dass nichtfigürliche, rein dekorative Malerei auf Wandtäferungen und Decken lange Zeit nicht besonders beachtet wurden, weil sie ikonographisch oder künstlerisch wenig interessant schienen. Neuerdings wendet man sich an verschiedenen Orten in der Schweiz diesem Gebiet vermehrt zu. Die dekorativen Ornamente verleihen der Architektur einen bildhaften Charkter, geben dem Raum eine heitere und prächtige Note. |
Die Dekorationsfreude steht
im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Blüte in
verschiedenen Städten der Schweiz. Für St.Gallen war
das 16. Jh. eine wichtige Epoche: die Stadt löste sich
von der Abtei, die Religion wechselte, und das
städtische Selbsbewusstsein erfuhr durch das
wirtschaftliche Wohlergehen eine Stärkung, was sich in
intensiver Bautätigkeit vor allem im profanen Bereich
niederschlug. Vor wenigen Jahren kamen in einigen Häusern St.Gallens bei Umbauarbeiten Wandtäferungen mit bemalter Dekoration des 16. Jhs. zum Vorschein. An der Brühlgasse Nr. 49 fand sich zum Beispiel eine weiss gekalkte, mit farbigen Ranken bemalte Täferung. Von Ranken umgeben ist hier ein Landmann dargestellt, der einen Hund an der Leine führt, sowie Hase, Hirsch, Fuchs. In anderen Häusern der Stadt, sowie in umliegenden Orten entdeckte man weitere Holztäferdekorationen mit erstaunlich ähnlichen, von Blumen und Tieren belebten und mit eingebetteten Figuren versehenen Blattranken. Man vermutet, ein und derselbe Maler, nämlich der jüngere Caspar Hagenbuch (ca. 1525 bis 1579) habe diese Dekorationen ausgeführt. Sein Vater, Caspar Hagenbuch d.Ae., kam 1534 in St.Gallen ins Gefängnis, weil er gegen die Verbote der bilderfeindlichen Reformation, Altarbilder gemalt hatte. Er musste schwören, "kein abgöttery mer wollend machen", um wieder freigelassen zu werden. |
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1553 drohte der Rat mit
Ausweisung, wenn die beiden Hagenbuch weiterhin für
katholische Auftraggeber arbeiteten. Der jüngere
Hagenbuch erwiederte darauf, dass er bei weiteren
Verboten nicht wüsste, wie er seine Kinder in Zukunft
ernähren sollte, aber die Ratsherren empfahlen ihm
"werde sich mit anderen Gemäl wol wissen zu
erhalten". Eine weitere Spur von Caspar Hagenbuch d.J. findet sich in Appenzell. Nach dem Dorfbrand von 1561 erhielt er den offiziellen Auftrag zur Ausschmückung der beiden Ratsstuben, zudem dekorierte er private Häuser, und es ist bekannt, dass er bis 1577 in jenem Ort blieb. Ein Wandgemäldezyklus im Hause Ebneter-Kölbener mit der Darstellung von Tugenden in reichem Rankenwerk wird ihm als vorzügliches Beispiel der Ausmalung eines Privathauses zugeschrieben. Als besondere Eigenheit der Hagenbuchschen Dekorationsmalerei gelten die aus Vasen wachsenden Ranken mit Phantasieblüten. Ein Vergleich mit der Stickerei mit Treuesucherin zeigt in der Art und Weise, wie die Figuren in die Pflanzenranken eingebettet sind, überraschende Übereinstimmungen. Vor allem die Figur der Klugheit steht wie die Treuesucherin der ersten Szene mit gebauschtem Rocksaum vor dem Betrachter. Ebenso gleichen die gemalten Phantasieblüten den gestickten Formen. Einzig die gemalten Blätter scheinen naturnaher als die gestickten, vor allem das breite, gerollte Akanthusblatt ist in der Malerei nicht anzutreffen. |
Hagenbuch wird als Künstler
von eher provinziellem Niveau angesehen, der sich wie
andere Kleinmeister seiner Zeit an Vorlagen hielt. Diese
gaben ihm vor allem Anregung, und oft fügte er Formen
verschiedener Vorlagen aneinander. Qualitätsunterschiede
weisen darauf hin, dass wohl auch Gehilfen bei ihm
arbeiteten. Könnte er oder einer seiner Mitarbeiter als
Entwerfer von Leinenstickereien in Frage kommen? Als weitere Möglichkeit wäre denkbar, dass Bürgersfrauen und Töchter bestehende Wandgemälde kopierten und zum Sticken auf Leinendecken übertrugen. Die Tischdecke im Wohnraum hätten damit dieselben Szenen in Weiss gezeigt, die auf der Wand farbig gemalt vorkamen. Schon seit langem wundert man sich über die Farblosigkeit der Stickereien, diese Tatsache liesse sich erklären durch ein Zusammengehören von besticktem Tuch und Wandmalerei. Auffallend auf der Stickerei mit Treuesucherin ist die eigenartige Abfolge der einzelnen Szenen. Geht man davon aus, dass eine vorbildliche Wandmalerei, ähnlich dem Tugendzyklus, streifenartig angeordnet war, dann hätte die Stickerin diesen Streifen in ein Quadrat umsetzen müssen, was offensichtlich keine einfache Aufgabe darstellte. Hier sei angefügt, dass das Historische Museum St.Gallen unter anderen eine Leinenstickerei besitzt (Inv.Nr.23), welche 10 Frauengestalten in Blumenranken und in streifenartiger Anordnung wiedergibt. |
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Viele Fragen zu den
Leinenstickereien bleiben ungeklärt, ist es doch heute
schwierig, ja fast unmöglich, mittelalterliche
Ueberlegungen oder Arbeitsweisen nachzuvollziehen.
Bedeutete das Darstellen von Ranken mit Akanthusblättern
und Phantasieblüten lediglich eine Modetendenz oder
weisen diese besonderen Naturformen auf neue
Entdeckungen, und damit auf ein besonderes Interesse des
Besitzers an den Ereignissen jener Jahre? Ebenso unklar
ist, ob man damals Vorzeichnungen für Stickereien in
Auftrag gab, oder ob Bürgersfrauen und Töchter die
Motive selber, vielleicht nach vorhandenen Malereien, auf
die Leinengewebe übertrugen. |
Mit Sicherheit aber blühte in der 2. Hälfte des l6.Jhs in St.Gallen der Leinwandhandel, und prächtige Bürgerhäuser aus jener Zeit weisen auf Wohlstand und Wohlergehen der Einwohner. Da man nun die meisten erhaltenen Leinenstickereien in dieselbe Epoche datieren kann, und zudem Aehnlichkeiten bestehen mit der Dekorationsmalerei von Hagenbuch, so lassen sich diese Werke der Stickkunst als typische Erzeugnisse der Ostschweiz, ja St.Gallens bezeichnen. |
content | Last revised 31 March, 2006 |