ANNE WANNER'S Textiles in History / publications |
Die Tobias-Stickereien im Textilmuseum St. Gallen von Anne Wanner-JeanRichard Publiziert 1982 in: Textilkunst Nr. 2, Juni 1982 vgl. auch Aufsatz von 1999, in: offene Szene Literatur Tobias auf Wanderschaft |
Literatur zum Thema: - Adolf Fäh, Textile Vorbilder aus der Sammlung Leopold Iklé, Zürich o.J. (1920), S. 36, Taf. 23 - Edith A. Standen, A Picture for every Story, in: Bulletin Metropolitan Museum of Art Vol. XV, 1957, p. 165ff. - Jenny Schneider, Schaffhauser Bildstickereien des 16. und 17. Jhs, in: ZAK, Bd. 23, Heft 3, 1963/64, S. 167ff. - Ph. Schmidt, Die Illustrationen der Lutherbibel, Basel 1977 - Margaret Swain, Figures on Fabric, London 1980 vgl. auch neuere Literatur: - Sabine Phillipp, Hochzeitsgeschenk mit moralischem Anspruch, eine schweizerische Wollstickerei um 1600, in: Kunst und Architektur in der Schweiz I, 2002, S. 45-50 - Vera Heuberger, Bilderwelt des Himmelbetts, gestickte Bettbordüren der Spätrenaissance, Bern 2000 - Anne Wanner-JeanRichard, Leopold Iklé, ein leidenschaftlicher Sammler, St. Gallen 2002 |
Standort: Textilmuseum St.Gallen, Inv. Nr.Iklé 884, 885, 888, 889, 894,895, Bodenseegegend um 1600, verschiedene Masse, neue Nummern: - Fragment Tobiaslegende (Erblindung des Tobit), Inv. Nr. 32202 - Fragment Tobiaslegende (Wanderschaft des Tobias), Inv. Nr. 32203 - Fragment Tobiaslegende (Tobias am Tigris) Inv. Nr. 32204 - Fragment Tobiaslegende (Vertreibung des Dämons), Inv. Nr. 32205 - Fragment Tobiaslegende (Vermählung des Tobias), Inv. Nr. 32206 - Fragment Tobiaslegende (Hochzeitsmahl) Inv. Nr. 32207 Technik: schwarzes, wollenes Grundgewebe mit farbiger Wolle in Ueberfangstichen (Klosterstich) verziert |
Leopold Iklé kam als junger
Textilkaufmann im 19. Jahrhundert nach St. Gallen und
baute hier seinen Betrieb für Maschinenstickereien auf.
Zu Hause und auf Reisen sammelte er in ganz Europa
leidenschaftlich alte Stickereien und Spitzen. Zu jener Zeit war in St. Gallen eine Museumssammlung im Aufbau begriffen, welche den Stickereientwerfern als Anregung und Vorlage dienen sollte. Leopold Iklé schenkte diesem Museum einen Teil seiner Sammlung; es sind 1460 wertvolle Textilien, für die er selber einen gedruckten Katalog verfasste, und die heute noch den wichtigen Grundstock des Textilmuseums bilden. |
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Die Tobias-Folge in
St.Gallen besteht aus sechs einzelnen Teppichen
in unterschiedlichen Massen und Formen. Sie sind 21-26 cm
hoch und 58-75 cm lang. Die Verwendung der Stickereien
ist nicht bekannt, vielleicht handelt es sich um Teile
eines Stuhl- oder Möbelbezuges. Die Szenen wurden auf schwarzen Wollstoff in Klosterstich gestickt. Der Grund ist fast völlig überdeckt mit farbigen Woll- und stellenweise auch Seidenfäden. Halskragen und Bettwäsche verfertigte man aus Leinengarn in Spitzenstich oder Klöppeltechnik. Die Braut hat Haare aus echtem Menschenhaar, und um Schmuck und Edelsteine anzudeuten, wurden feinste Metalldrähte und Glasperlen verwendet. Die auffallendste Figur auf diesen gestickten Bildern ist zweifellos der Engel. Er kommt im ganzen achtmal zur Darstellung und meistens umrahmen seine Flügel den Kopf als wären sie ein Kranz oder ein Heiligenschein. Einzig hier, zwischen den ausgebreiteten Flügeln, ist der schwarze Wollgrund nicht mit Stichen bedeckt. Das Schwarz hebt so die leuchtenden Farben des Flügelkleides besonders hervor und gibt dem himmlichen Wesen eine auffallende Stellung. In dieser Stickerei personifiziert der Engel denn auch die göttliche Lenkung menschlicher Geschicke. Schicksalsschläge und Ereignisse häufen sich in der Tobiaserzählung: der Vater Tobias, aus dem jüdischen Stamme Naphtali, weilte mit seinem Volke als Gefangener in Assyrien. Durch seine Gottesfürchtigkeit und Hilfsbereitschaft hatte er sich selbst im fremden Lande einen guten Namen gemacht. Er handelte nach seinem Gewissen und manchmal in Widerspruch zum Landesherrn. So kam es, dass er oftmals heimlich des nachts Tote begrub. Nach einer solchen Arbeit schlief er |
einst erschöpft auf dem
Vorplatz seines Hauses ein, und eine Schwalbe liess ihren
Kot auf seine Augen fallen, so dass er erblindete. Nun
geriet die Familie in Armut, aber der Vater erinnerte
sich, dass er früher einem Verwandten Geld geliehen
hatte, und er sandte seinen Sohn Tobias, dieses zu holen. Glücklicherweise fand sich ein Begleiter, der mit dem jungen Tobias wanderte. Dies war der Engel Raphael, der sich aber nicht zu erkennen gab. Unterwegs badete Tobias seine Füsse im Tigris und fürchtete sich vor einem grossen Fisch. Der Engel gebot ihm, diesen ans Land zu ziehen und auszuweiden. Sie bewahrten Herz, Galle und Leber auf. Später erreichten sie das Haus von Raguel. Dessen Tochter hatte mit ihren Ehemännern kein Glück: Sieben waren schon in der Hochzeitsnacht gestorben, dennoch vermählte sich Tobias mit ihr, weil Raphael ihm dazu geraten hatte. Währendem die beiden Neuvermählten in der Kammer im Gebet verharrten, verbrannten auf einem Altar Fischherz und Fischleber. Auf diese Weise wurde der böse Geist gezwungen, aus Sara herauszufahren, der Engel fesselte und verbannte ihn ins ferne Aegyptenland. Am nächsten Tag begab sich der Engel allein weiter ins Haus des Schuldners, um dort das Geld zurückzuverlangen. Tobias aber eilte zu seinem Vater zurück und befolgte einen weiteren Ratschlag seines Wandergesellen: aus der Fischgalle bereitete er eine Salbe, strich sie dem alten Tobias auf die Augen und heilte ihn so von seiner Blindheit. Nachdem nun diese Geschichte so glücklich ausgegangen war, wurde ein mehrtägiges Fest gefeiert. Später gab sich der Engel Raphael zu erkennen und kehrte in den Himmel zurück. |
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Tobias-Folgen waren
im 16. Jahrhundert ein beliebtes Bildthema. So
gestaltete Bernard von Orley 1520-30
acht grosse Wandteppiche, die sich heute in Wien
befinden. Zeichnungen und Radierungen Rembrandts zum Buch Tobias von ca. 1645-50 zeugen davon, dass die Geschichte bis ins 17. Jahrhundert hinein beliebt war. Neben grossen Künstlern befassten sich auch weniger bedeutende Gestalter mit dem Tobias-Thema; einige Stickereien seien hier genannt. In der Schweiz sind ausser unserem Beispiel mindestens drei weitere Werke mit eingestickten Familienwappen und Jahrzahlen wie 1597 und 1601 erhalten. Eine sehr schöne Arbeit im Schweizerischen Landesmuseum weist zudem die Initialen BP auf, die sich mit Hilfe von Wappenbüchern und Familiengeschichten als Barbara Peyer auflösen lassen, sie wird die Stickerin des Bildes gewesen sein. Im Victoria and Albert Museum in London konnten drei Seidenstickereien mit Tobiasszenen entdeckt werden, eine davon trägt ein Ostschweizer Familienwappen und die Jahreszahl 1599, eine Kammtasche ist im 17. Jh. entstanden, und das dritte Beispiel hat weder Wappen noch Datum, es ist in petit-point auf Leinenstramin gearbeitet und wird dem französischen Kulturkreis zugeordnet. Im Metropolitan Museum in New York befindet sich eine Tobiasfolge, die ebenfalls in petit-point auf Stramin gestickt ist und wahrscheinlich in Frankreich oder Flandern entstand. Die Anordnung der einzelnen Bilder, die Verwendung von architektionischen Elementen und die Ausblicke in Landschaften kommen auf der Stickerei in St.Gallen in ähnlicher Art vor. In Einzelheiten weisen Figuren und Architektur jedoch auf einen geschickten, ausgebildeten Sticker oder Stickerin, währenddem die St.Galler Arbeit stellenweise etwas unbeholfen erscheint. |
Der Bildaufbau der grossen
Gobelins der Renaissance ist bei den erwähnten
Stickereien manchmal erkennbar: Wichtige Szenen beherrschen den Vordergrund und weniger bedeutende Vorkommisse sind in den Hintergrund gesetzt. Allen Werken gemeinsam aber ist die Vorliebe für lange, schmale Streifen. Wahrscheinlich konnten solche Formen am besten in Haushaltungen begüterter Bürger verwendet werdeen, und vielleicht stickten Bürgerstöchter diese Behänge zu besonderen Familienanlässen. Die Stickerinnen waren wohl kaum auch die Schöpferinnen der Bilder, vielmehr zeichneten ihnen lokale Künstler solche vor. Dies lässt sich zum Beispiel aus einem Schreiben des Jahres 1575 herauslesen: eine adelige Dame aus Bayern meint hier zu Veritas und Dorothea Bullinger in Zürich "...Ich hab imer zur im willen gehapt ich well den bildner (die Vorlage) zu dem dyss-dyebich (Tischteppich) jetz schicken. So habe ich den maler noch nit konden bekumben - dann er nit hains (anheimisch) ist, so will ich euch bitten, dass ir bemiet (bemüht) mit (damit) seit ..." Die "maler" wiederum müssen als wichtige Quelle die Illustrationen verschiedenr Bücher, häufig Bibeln, benutzt haben. Bildthemen, die auf die Problematik der Zeit hinweisen, brauchte man besonders gerne als Inspiration. So sah man in alttestementlichen Themen Beispiele für die Lenkung der Geschichte durch Gott. Zwei weitere Gründe brachten die Bibel dem Bürger des 16. Jahrhunderts nahe: einmal hatte Luther das Neue Testament 1521 und das Alte zwischen 1523 und 1534 übersetzt. Des weiteren ermöglichte die damals neue Technik des Buchdruckes eine bis dahin unbekannte Verbreitung dieser Uebersetzungen. Die erste Ausgabe des Neuen Testaments mit einer Gesamtauflage von ca. 5000 Exemplaren war bereites nach zweieinhalb Monaten vergriffen. |
Berühmte und bekannte Verlage
gab es in Wittenberg, Frankfurt, in Zürich, Basel usw.
und unter den bedeutendsten Illustratoren finden sich
wohbekannte Namen wie: Hans Holbein, Jost
Amman, Tobias Stimmer, Virgil
Solis. Ein oft nachgeahmter Illustrator war auch
Bernard Salomon, der 1553 eine
französische Bibelübersetzung illustrierte Die Stickereien in St. Gallen können mit Stichen von Virgil Solis verglichen werden. Von ihm wissen wir, dass er um 1514, wahrscheinlich in der Schweiz, geboren wurde und bereits 1531 eine von Froschauer in Zürich herausgegebene Bibel illustrierte. 1651 schuf er Bilder für die bei Sigmund Feyerabend in Frankfurt gedruckte Bibel, am 1.8. 1562 starb er in Nürnberg. Seine Illustrationen erschienen von 1560-1606 in 12 verschiedenen Bibelauflagen. Ein anderer Künstler, dessen Illustrationen ebenfalls den biblischen Glauben der Menschen der späteren Jahrzehnte des 16. Jhs widerspiegeln, war Johann Teufel. Von 1572 bis gegen Ende des 17. Jhs wurden seine Stiche immer wieder zur Bebilderung der Bibel gebraucht. Auf diese Weise verbreiteten sich mit den Bibeln auch die Bilder zum Alten und Neuen Testament in weite Volksschichten, und es ist kein Wunder, dass häusliche Stickereien von ihnen beeinflusst wurden. Die im Textilmuseum St.Gallen bewahrten sechs Stickereien weisen aufgrund einiger Details aus, dass die Stickerin nicht selber Schöpferin der Szenerie gewesen sein kann, denn gewisse Linien der Vorzeichnung wurden deutlich missverstanden: Neben Hanna, die ihrem eben erblindeten Manne zu Hilfe eilt, steht eine Säule mit merkwürdig gestaltetem Sockel. Die Stickerin hat eine für die Perspektive wichtige Linie einfach weggelassen und an der Stelle den Fliesenboden weitergezogen. |
Der Zeichner kann sich bei
Virgil Solis inspiriert haben, der auf seine Stichen
häufig Säulen und Architektur widergab oder in
ähnlicher Art Innenräume mit Landschaftsdarstellungen
verband. Ebenfalls ist zwischen dem wandernden Tobias und
seinem Engelsgefährten in der Bewegung des Schreitens
eine gewisse Verwandtschaft mit der Darstellung der
beiden Botschafter Josua und Kaleb von Virgil Solis
festzustellen. Beim Vergleich von Figuren ist allerdings zu berücksichtigen, dass Kleidung auch der Zeitmode entsprechend gleichartig sein kann. ![]() "Josua und Kaleb", Virgil Solis, Bibelillustration 1562 |
Bei allen bekannten
Tobiasfolgen fehlt nie die Szene mit dem Fisch.
Auf einer Leinenstickerei in Basel wurde eine Vorlage von
Holbein fast genau übernommen und bei manchen anderen
Stickereien wirkt der grosse Künstler mindestens in
Details nach. Auch Tobias Stimmer stach diese Szene in Holz. Auf der St.Galler Stickerei ist der Fisch mit weit aufgesperrtem Rachen und wild um sich schlagendem Schwanze abgebildet und so jenem Fisch bei Stimmer ähnlich. Was aber die übrige Szene und vor allem die Figuren betrifft, so zeigt der Künstler gerne Rückenansichen und kraftvolle Bewegungen. Solche Merkmale fehlen in der Stickerei. Ebenso häufig wie der Fischzug ist die Darstellung des betenden Paares im Brautgemach. Der Künstler Bernard Salomon hat diese Szene in der französischen Bibel abgebildet, und fast unverändert ist dieses Bild auf dem Streifen im Metropolitan Museum in New York zu finden. Das betende Paar im Landesmuseum Zürich scheint ebenfalls auf Salomons Vorlage zurückzugehen, jedoch bei den anderen bekannten Stickereien ist diese Szene leicht abgeändert oder ganz anders gestaltet, so auch auf dem Beispiel in St. Gallen. Wichtig ist gegen den Schluss der Stickereifolgen die Heilung des alten Tobias. |
Diese Szene kommt bei allen
hier genannten Stickereien vor. In einem Falle ist sie
sogar zentrales Thema. Umsomehr erstaunt es, dass diese Heilungsszene im Textilmuseum St.Gallen fehlt, wie auch diese Stickereien weder Jahreszahl noch Datum tragen. Es stellt sich die Frage, ob mit den sechs Stickereien wirklich alle ursprünglich gestickten erhalten sind? Vielleicht waren die sechs Teile um ein grösseres Zentrum herum angeordnet, und auf diesem Zentrum könnte die Heilung samt Wappen und Datum abgebildet gewesen sein. Für die St. Galler Tobiasfolge bleiben also einige Fragen offen. Zusammenfassend läst sich festhalten: - Die Stickereien gehören in ein Zeitalter, welches sich mit alttestamentlichen Darstellungen, insbesondere der Tobiasgeschichte auseinandersetzte. - Sie können mit schweizerischen Wollstickereien von Ende 16. und Anfang 17. Jh. verglichen werden. - Eine eher unbeholfene Hand, vielleicht diejenige einer Bürgerstochter, dürfte hier am Werk gewesen sein, und möglicherweise besorgte ein lokaler Künstler, von zeitgenössischen Illustratoren angeregt, die Vorzeichnungen dazu. |
vgl. auch Aufsatz von 1999, in: offene Szene Literatur
In der Kammer verhielt sich Tobias nach den
Ratschlägen des Engels. Der Rauch vertrieb den bösen
Geist, und der Engel nahm ihn gefangen und verbannte ihn
in die Wüste Aegyptens. Saras Vater fürchtete, Tobias
würde dasselbe Schicksal erleiden, wie die anderen
Männer vor ihm. Er rief daher um Mitternacht seine
Diener, und sie schaufelten ein Grab, damit sie Tobias
begraben könnten, bevor jemand etwas merken würde.
Später, als er sich vergewissert hatte, dass Tobias noch
lebte, schütteten sie die Grube wieder zu. |
![]() Wiedersehen zu Hause, später wird sich der Engel zu erkennen geben Fragment Tobiaslegende (Hochzeitsmahl), Inv. Nr. 32207 |
content | Last revised 15 June, 2006 |