Evelin Wetter, Mittelalterliche Textilien III,
Stickerei bis um 1500 und figürlich gewebte Borten,
(Die Textilsammlung der Abegg-Stiftung Band 6), 364
Seiten, 202 meist farbige Abbildungen, Photos von
Christoph von Viràg, Riggisberg, 2012, ISBN
978-3-905014-50-1; CHF 280.- + Porto; in der Ausstellung
CHF 200.-
http://www.abegg-stiftung.ch/e/publikationen/neuerscheinungen/bestellen/27.html
Die vorliegende Publikation wurde in den Jahren
2006 bis 2008 als Manuskript zusammengestellt,
Neueinkäufe sind bis 2009 integriert, Literaturangaben
bis 2011 einbezogen, gedruckt wurde der Corpus im Jahr
2012. Der Band besteht aus den einführenden Kapiteln (40
Seiten), dem Katalogteil (230 Seiten) und dem Anhang (70
Seiten). Dieser Anhang umfasst die englische Uebersetzung
der Einführungstexte, ein Glossar, Konkordanz der
Inventar- und Katalognummern, Register, Literaturnachweis
und Abbildungsnachweis.
Die Stickerei Sammlung der Abegg-Stiftung besteht aus 66
Katalognummern mit Objekten aus dem 12. Jahrhundert bis
um 1500. Einzelne Nummern setzen sich teilweise
mehreren zusammenhängenden Stücken zusammen. Das Gebiet
der Entstehungsregionen erstreckt sich von Sizilien nach
England und Skandinavien, von Spanien bis nach Ungarn.
Stickereien bilden zwar keinen eigentlichen Schwerpunkt
der Abegg-Sammlung, bei den einzelnen Sammlungsstücken
handelt es sich jedoch um herausragende Objekte, die alle
von professionellen Stickern hergestellt wurden. Beim
Erwerb waren die qualitätvolle Ausführung und das
Zusammenkommen möglichst vieler Kunstlandschaften
entscheidend. Ebenso spielten die Vorlieben des Sammlers,
wie auch die Sammler des 19. Jahrhunderts und die
Strukturen des Kunstmarktes des 20. Jahrhunderts eine
Rolle. Bei musealen Sammlungen fehlen oftmals
Angaben zur Herkunft, d.h. die Provenienz bildet ein
Problem. Im Gegensatz zu Sammlungen ehemaliger
Kunstgewerbemuseen ist die Sammlung der Abegg-Siftung
keine Vorlagensammlung. Sie versteht das Textil als
Kunstwerk im zeitgenössischen kunsthistorischen
Verständnis und kann in der Qualität der Ausführung
ihrer Objekte mit Sammlungen in London, Paris, Wien etc.
verglichen werden.
Die einleitenden Kapitel zum Katalog gehen aus von
verschiedenen Fragestellungen, dabei kommen auch die
Grundlagen von Stickerei und Paramentik kurz zur Sprache.
Zuerst steht die Bildlichkeit mittelalterlicher
Textilien im Blickpunkt, und damit die Frage,
wieweit die gestickten Besätze auf das liturgische
Geschehen Bezug nehmen. Sie lässt sich auf mehreren
Ebenen fassen: die Kostbarkeit der Stickerei zeichnet die
rituelle Handlung aus. Die Darstellungen dienen zur
Visualisierung der Eucharestie, und mit den Bildern
geschieht die Einordnung in den Verlauf des
Kirchenjahres.
Textilien bestehen aus vergänglichem Material, deswegen
sind mittelalterliche Stickereien nur in kleiner Anzahl
erhalten. Daneben beeinflussten auch konfessionelle
und wirtschaftlichen Veränderungen, die
Erhaltung von Textilbeständen. Entsprechende Vorgänge
werden anhand von Beispielen aus der Sammlung erläutert:
Kirchengewänder haben sich aus lutherischen
Zusammenhängen erhalten, indem man diese nach
der Reformation weiter nutzte. Beispiele finden sich in
Kirchenbeständen von Brandenburg, Strahlsund, Kronstadt,
andere gelangten in Sammlungen. Befunde an den Objekten
belegen ihre Nutzung noch bis in die 60er Jahre des 19.
Jhs.
Meistens fehlen Nachrichten über die Herkunft der
Kirchengewänder und die heutige Gestalt der
Sammlungsstücke muss als Quelle genügen. Bei genauen
Untersuchungen können Zeichen von Veränderungen und
Wandlungen zu Tage treten. De- und
Rekonstruktionen widerspiegeln Händler-,
Sammler-, Ausstellungs- und Forscherinteressen.
Erhaltungs- und Sammlungskriterien sind ebenfalls
fortwährendem Wandel unterworfen.
Zusammenfassend betont die Autorin die Wichtigkeit, die
Objekte in ihrem Erhaltungszustand genau zu untersuchen,
da dieser oftmals die einzige Quelle für seine
vergangene Geschichte darstellt.
__________________________________________________________________________________________
Der Katalog ist in 4 Teile gegliedert, die
Reihenfolge der Objekte innerhalb eines Teiles ist
chronologisch. Allgemeinen Betrachtungen über das Thema
leiten die einzelnen Abschnitte ein. Behandelt werden die
Herstellungsbedingungen, die ästhetische Wirkung und
wirtschaftshistorische Hintergründe. Im Anschluss an
diese Einleitungen werden die einzelnen Exemplare sehr
genau untersucht, nach Bestand, Technik und Material,
intensiv beschrieben und kommentiert und Literatur
angegeben.
_______________________________________
Der erste Teil mit den Katalognummern 1-36 behandelt
die bestickten Paramente.
Am Anfang des Katalogs erklärt die Autorin ihr Vorgehen
bei der Betrachtung der einzelnen Werke. Wichtig ist die
Frage der Umsetzung von Malerei mit Nadel und Faden. Ob
nun Reliefstickereien, die in der Sammlung der
Abegg-Stiftung nicht vorhanden ist, ebenfalls zur
Stickerei zählen soll, fällt weniger ins Gewicht.
Grundsätzlich ist für Wetter ausschlaggebend, wie und
mit welchen Techniken ein Entwurf umgesetzt wurde. Bei
der Behandlung werden folgende 3 Punkte in den
Vordergrund gestellt:
- Befragung archivalische Quellen
- Diskussion der Zusammenarbeit von Malern und Stickern.
Wie lässt sich die Wandlungsfähigkeit der Werke und
gleichzeitig auch deren Gleichförmigkeit erklären?
- Darstellung der sticktechnischen Umsetzung. Die
Betrachtung beschränkt sich auf die Gruppen von Gold-
und Seidenstickerei.
Eine wesentlicher Punkt ist das Verhältnis der
Stickerei zur Malerei und deren Umsetzung mit Nadel und
Faden. Stilkritische Vergleiche mit der örtlichen
Malerei dienen dem Rückschluss auf den Entstehungsort.
Entsprechende Studien ermöglichen es, Handelsstränge
oder kulturelle Bezugnahmen bei zusammenhängenden
Gruppen aufzuspüren. Der Bestimmungsort der Stickereien
war oft entfernt vom Herstellungsort, deshalb ist
zwischen Herstellungsort und Ueberlieferungs Provenienz
zu unterscheiden.
Die Art und Weise der Musterübertragung auf den Stoff
ist schwierig zu rekonstruieren. Man konnte dazu
Lochpausen oder auch Druckstempel verwenden. Dabei bleibt
unklar, seit wann und wie lange Stempel in Gebrauch
standen, ist doch serielles Vorgehen mit Lochpausen und
mit Stempel möglich. Zudem bedienten sich die
Werkstätten über Jahrzehnte mit demselben Kanon von
Einzelfiguren, Architekturteilen und
stellten dieselben immer wieder neu zusammen.
Stick Entwerfer sind selten zu ermitteln und auch die
Frage nach dem Einfluss der Auftraggeber ist nicht
einfach zu beantworten. Deshalb stellt sich die Autorin
die Frage, ob überhaupt von einem Entwurfsvorgang
gesprochen werden kann? ob man nicht vielmehr ausgehen
muss von einem Uebertrag bereits bestehender Vorlagen auf
den Stickgrund.
Eine weitere Frage betrifft die beim Sticken
verwendeten Materialien. Der weiche, schwach gedrehte
Seidenfaden eignet sich für Spalt-, Stiel-,
Knötchenstich sowie für verschiedene Anlegetechniken.
Gold- und Silberfäden bestehen aus einer mit Lahn
umwickelten Seidenseele oder als Häutchengold. Die meist
recht steifen Metallfäden werden in Anlegetechnik mit
Ueberfangstichen auf dem Grund fixiert. Für
anspruchsvolle Aufträge verwendete man im 15.
Jahrhundert oftmals die Lasurstickerei. Bei dieser
Anlegetechnik sind die Ueberfangstiche sehr dicht
gesetzt, lassen aber Gold und Silber noch durchscheinen.
Auch an dieser Stelle wird hingewiesen auf die
Wichtigkeit der genauen Untersuchung. Bei dem oft
provenienzlosen Material sind aus den Objekten selber
herausgelesene Beobachtungen von besonderem Wert. Sie
stellen Kriterien dar zur Beurteilung regionaler und
zeitlicher Einordnung. Fragen, die sich daraus ergeben,
können Grundlagen für weitere Diskussionen darstellen.
__________________________________________
Der zweite Teil ist dem Beispiel einer bestickten
Brettchenborte, Katalognummer 37, gewidmet. Sie ist
den Stickereien verwandt, unterscheidet sich
aber von diesen durch den Stickgrund, dem
Brettchengewebe. Das vorliegende Beispiel entstand um
1400, hier greifen figürlich gewebter und gestickter
Dekor ineinander. Man könnte sich fragen, ob es sich
hier um einen Vorläufer der sog. Kölner Borten handelt,
dies obwohl Unterschiede in der Bindungsart des Grundes,
wie auch im Webgerät bestehen. Die Attribute und Nimben
der Heiligen sind farbig broschiert, Antlitz und
Haartracht hingegen in feiner Seidenstickerei
dargestellt. Gestickt sind auch die Inschriften.
__________________________________________
Im dritten Teil sind die Samitborten oder Kölner
Borten, unter den Katalognummern 38-47 aufgelistet.
Diese eher kleine Sammlung, belegt das spezifische
Interesse des Sammlers an den Kölner Borten, stellt
jedoch keinen umfassenden Beitrag zu deren Produktion
dar.
Die Borten sind verfertigt als Samitgewebe, d.h. sie
bestehen aus 2 Kett- und mehreren Schusssystemen. Im 14.
und 15. Jh. handelte es sich um gewebten Dekor, im 15.
Jahrhundert beginnt Stickerei in diese Verzierungen
hineinzugreifen.
Diese beliebten Sammlungsobjekten des 19. und 20. Jhs
sind überliefert auf Gewändern, die man im Barock
meistens umarbeitete. Daneben sind Fragmente erhalten,
deren ursprüngliche Nutzung nicht mehr bekannt ist.
Ueberlieferte Bestände in kirchlichen Textilschätzen
zeigen, dass es sich bei den Besätzen um vorgefertigte
Produkte handelte, die erst der Gewandschneider
zerschnitt und montierte. Wirtschaftliche Quellen geben
Einblicke in die Zusammenhänge der Produktion. Es gab in
Köln auch zuliefernde und weiterverarbeitende Handwerke,
ein umfassendes Zunftwesen ist belegt.
Zum selben Zeitpunkt wie die vorliegende Publikation,
nämlich im Frühjahr 2012, erschien auch das
Corpuswerk über Kölner Borten der Autoren Marita
Bombek, Gudrun Sporbeck und Monika Nürnberg. Unter
anderem wird hier eingehend diskutiert über die von
Franz Bock im 19. Jh. wieder aufgegriffene Bezeichnung.
Die Autoren kommen aufgrund von Schriftquellen zum
Schluss, dass der Begriff Kölner Borte
bereits im Mittelalter bekannt war. Deshalb können die
Produkte als qualitätvolles Kölner Kaufmannsgut
bestätigt werden, obwohl sich nur wenige Objekte exakt
zuordnen und datieren lassen.
____________________________________________
Der vierte Teil mit den Kagnummern 44 - 66 ist den
Lampasborten oder Florentiner Borten gewidmet.
Ein Teil dieser Borten könnte aus der Sammlung Sangiorgi
stammen, die der Sammler erstmals in seiner Publikation
von 1925 behandelt. Die persönliche Widmung in einem
heute in der Bibliothek der Abegg-Stiftung aufbewahrten
Exemplar weist darauf hin, dass sich Giorgio Sangiorgi
und Werner Abegg gekannt hatten.
Technisch gesehen handelt es sich bei den
Florentinerborten um Lampas, deren Musterung über
mindestens 2 Kett- und 2 Schusssysteme erfolgte. Die
Borten wurden meistens den Kettfäden entlang
zerschnitten, entwickelten sich die Muster doch fast
immer in dieser Richtung.
Ruth Grönwoldt behandelte diese Zierborten erstmals
in ihrer 1957 eingereichten und bisher noch
unveröffentlichten Dissertation. Inzwischen trug sie zu
diesem Thema viel Material zusammen und untersuchte
dieses auch webtechnisch. Bisher befasste sich niemand
intensiver mit Florentiner Borten als Ruth Grönwoldt,
und deshalb übernimmt Evelin Wetter die
Forschungsergebnisse des heute im Druck befindlichen
Corpuswerk für die Einordnung der Objekte der Sammlung
der Abegg-Stiftung.
Die Bezeichnung Florentiner Borte lässt sich
anhand von zahlreichen Bildquellen, Dokumenten und
Inventaren rechtfertigen. Sie belegen eine grosse
Produktion für Florenz. Die erhaltenen Bortenstoffe
gruppiert Ruth Grönwoldt gemäss technischen und
gestalterischen Kriterien in 6 Gruppen. Die Borten der
Sammlung der Abegg-Stiftung können in 3 davon
eingeordnet werden.
Die Borten der Sammlung der Abegg-Stiftung werden
schliesslich in Beziehung gesetzt zu den von Ruth
Grönwoldt definierten Vergleichskategorien. Unter dem
Titel weitere Exemplare in anderen Sammlungen
sind identische, unter Varianten dagegen
geringfügig abweichende Beispiele aufgelistet.
Abwandlungen bezeichnen die Borten in neuem
Zusammenhang und Nachbildungen umfassen
jüngere Wiederholungen der bekannten Borten.
|